Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
verlief vom Regen, tropfte auf seine Haare und lief dann über sein Gesicht. Es sah so aus, als hätte er Kriegsbemalung angelegt. Und mit jedem Regentropfen wuchs sein Hass.
Ubbo Heide hatte sich bemüht, alles ganz liebevoll vorzubereiten. Die Tische waren zusammengestellt, so dass eine große Tafel entstand, um die alle herumsaßen. Kleine Mineralwasser- und Apfelsaftflaschen waren an allen strategisch wichtigen Punkten verteilt. Es wurde Krintstuut gereicht, dazu ein paar Sanddornkekse. Es roch nach starkem Schwarztee, und auf dem Tisch stand neben den Kluntjes echte Kaffeesahne, nicht irgendeine fettreduzierte weiße Plörre, die jeden richtigen Ostfriesentee ungenießbar machte.
Weller sagte: »Ach, du Scheiße, großer Bahnhof«, aber Ann Kathrin sah Ubbo fragend an und wartete ruhig, bis er ihnen seine Erklärung gab.
Ann Kathrin kannte nur die wenigsten Personen hier im Raum. Ubbo Heide, Rieke Gersema und Sylvia Hoppe. Die anderen kannte sie nicht. Sie hatte die Kollegen auch noch nie auf Schulungen oder irgendwelchen Festen gesehen.
Gerade hielt ein Mann mit silbergrauen welligen Haaren und einem saloppen Anzug, der garantiert nicht von der Stange gekauft worden war, einen kleinen Vortrag. Alle lauschten ihm andächtig. Ann Kathrin bekam noch die Worte mit:
»Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich zurzeit etwa alle vier Jahre, mit beschleunigter Tendenz. Hierbei muss es zu einer verstärkten Arbeitsteilung durch Abstützung operativer Entscheidungkompetenzen und hierarchischer Trennung von Führungs- und Abwicklungsfunktionen kommen, um die Effizienz der Gesamtorganisation …«
Ubbo stellte ihnen das hochgewachsene Alphatier als Kriminaldirektor Schwindelhausen vor.
Naja, für den Namen kann er ja nichts, dachte Weller, grinste sich aber eins.
Der Mann hielt Ann Kathrin die Hand betont lässig hin. »Sie können mich Ludwig nennen, Frau Kollegin.«
»Kriminaldirektor Schwindelhausen leitet eine Sonderkommission des Bundeskriminalamtes, die speziell für Entführungen ausgebildet und trainiert wurde.«
»Das heißt?«, fragte Ann Kathrin. »Nehmen Sie uns jetzt die Arbeit aus der Hand, oder unterstützen Sie uns?«
Er lächelte süffisant. »Sagen wir mal, wir tragen dazu bei, das alles zu professionalisieren.«
Bei Ann Kathrin war er damit schon unten durch. Spezialisten, die aus der Großstadt kamen und glaubten, den doofen Ostfriesen Nachhilfestunden geben zu müssen, stießen bei ihr auf wenig Gegenliebe. Überhaupt galt sie nicht gerade als gute Teamspielerin. Sie arbeitete am liebsten mit ein paar Vertrauten zusammen. Tief in sich drinnen glaubte sie nicht, dass eine SOKO von dreißig oder sechzig Leuten effektiver war als eine kleine, gut eingespielte Einheit.
»Die Familie«, sagte sie, »lehnt die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei ab. Ich bin mir nicht sicher, ob die das so witzig finden, was hier gerade veranstaltet wird. Ich weiß auch nicht, ob der ganze Aufwand notwendig ist. Vermutlich hat der Vater das Kind einfach zu einem Freund oder einer Freundin gebracht, um eine DNA-Überprüfung machen zu lassen oder um Druck auf die Frau auszuüben, damit sie sich von ihrem Freund trennt. Wolfgang Müller glaubt, die Zwillinge seien von ihm. Vielleicht«, lachte sie und merkte gar nicht, dass sie sich dabei um Kopf und Kragen redete, »hat er noch eine Oma im Ruhrgebiet und die passt auf das Kind auf und weiß nicht mal etwas von der Entführung.«
Sie schielte zu Weller und der zu ihr. Dann sah er auf den Boden. Es war ihm todpeinlich.
»Wieso haben Sie bisher nicht daran gedacht?«, fragte Schwindelhausen. »Wurde das überprüft? Lebt seine Mutter noch? Gibt es andere Verwandte, bei denen das Kind sein könnte?«
Ann Kathrin stöhnte und sah zu Ubbo Heide. Der machte einen Erklärungsversuch: »Nun, wir waren bisher ziemlich überlastet. Es gibt ja nicht nur diesen einen Fall, sondern wir haben im Uplengener Moor …«
»Sehen Sie«, lächelte Schwindelhausen, »deswegen sind wir ja jetzt da. So ein Fall überfordert die lokalen Kräfte grundsätzlich. Wir werden natürlich mit Ihnen zusammenarbeiten, Frau Klaasen, oder darf ich Sie Ann Kathrin nennen?«
Die Frage hing in der Luft wie Spinnweben. Ann Kathrin nahm sie nicht auf, was Schwindelhausen als Angebot interpretierte, Ann Kathrin zu duzen.
»Also, Ann Kathrin, wir arbeiten natürlich gerne mit Kollegen vor Ort zusammen. Schließlich kennt ihr die Situation, die örtlichen Gegebenheiten …«
»Schon klar«,
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