Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Wagen fuhren an, nur das Cabriolet noch nicht. Einer der jungen Männer rannte herüber und wollte zu den Mädels einsteigen. Weller musste sich eingestehen, dass er sie um ihre Unbeschwertheit beneidete. Er kannte mehr den düsteren Teil Ostfrieslands. Er sehnte sich so sehr nach dieser Leichtigkeit und war doch gefangen darin, sich mit den Abgründen der menschlichen Seele beschäftigen zu müssen.
Schmerzhaft spürte er, dass er seine Töchter lange nicht gesehen hatte, und versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen.
Weller lenkte mit einer Hand und hielt sich die Rippe.
»Der hat mir vielleicht eins verpasst …«
»Soll ich fahren?«
»Nee, so schlimm ist es nicht. Aber das war kein Zufall. Das hat der Typ gelernt.«
»Du meinst, er ist in einer Kampfsportart ausgebildet? Judo war es jedenfalls nicht, dann hätte Charlie ihn nicht so einfach auf die Matte legen können.«
»Ich glaube eher, Kickboxen.«
Damit war das Thema für sie erledigt. Diese Sportart interessierte Ann Kathrin nicht.
»Ist dir etwas aufgefallen, Frank? Du hast doch das Telefongespräch auch mit angehört.«
»Ja, hab ich. Wenn ich mich auch nicht so richtig voll drauf konzentrieren konnte. Ich hatte es da mit einem kleinen Störenfried zu tun.«
»Der Täter kommt aus dem ganz nahen Umfeld der Familie. Er kennt sie alle, also müssen sie ihn auch alle kennen.«
»Was genau hat er zu Lucy gesagt?«
Ann Kathrin versuchte, aus dem Gedächtnis zu zitieren: » Du bist der einzige vernünftige Mensch in der Familie . Das sagt nur jemand, der sie alle genau kennt und keinen von ihnen leiden kann.«
»Ja, er ist nicht gerade ein Fan von denen.«
»Warum wählt er Lucy für die Geldübergabe und als Kontaktperson?«
»Weil sie die Schwächste ist?«, fragte Weller.
»Nein«, sagte Ann Kathrin, »ich fürchte, da irrst du dich. Das spricht eher gegen sie. Stell dir doch mal vor, du müsstest eine Geldübergabe organisieren. Die meisten Täter werden bei der Übergabe gefasst. Das ist der für sie schwierigste und gefährlichste Teil. Möchtest du dann, dass dir ein Kind das Geld übergibt? Sie kann nicht Auto fahren. Wie willst du sie dirigieren? Sie ist doch von der Polizei viel leichter kontrollierbar. Ihr bleiben ja gar nicht viele Möglichkeiten. Sie kann mit dem Fahrrad irgendwohin fahren, mit Bus und Zug …«
»Du meinst, er hat so eine Schnitzeljagd mit uns vor?«
»Was denn sonst?«
»Was denkst du also, Ann? Warum hat der Täter sie gewählt?«
»Weil er weiß, dass sie ihn nicht verraten wird, wenn sie ihn sieht. Entweder ist sie schon längst seine Komplizin, oder er will sie dazu machen.«
»Was wieder für den Vater spricht«, sagte Weller.
»Zu Geldübergaben kann man nur etwas von Dagobert lernen.«
»Arno Funke? Der Karstadt-Erpresser?«
»Genau. Das war sein richtiger Name. Einmal«, lachte Ann Kathrin, »haben wir tausendeinhundert Telefone überwacht, beim zweiten Mal dreitausendneunhundert, weil er immer aus öffentlichen Telefonzellen mit einer Karte anrief. Aber dann benutzte er genau ein nicht überwachtes Telefon.«
»Glück gehört auch dazu.«
»Das kannst du wohl sagen. Der ist einer der wenigen, der es wirklich geschafft hat, ans Geld zu kommen. Besonders raffiniert fand ich die Nummer in Berlin. Beim Rathaus Steglitz stand eine Streusandkiste. Darin sollte das Geld abgelegt werden. Natürlich wurde das Ding überwacht, das war überhaupt kein Problem. Allerdings hat niemand damit gerechnet, dass sich die Streusandkiste auf einem Einstiegsschacht zu einem Regenwasserkanal befand. Er kam von unten, nahm das Geld und war wieder weg.«
»Hat der das nicht auch mit dem Miniaturschienenfahrzeug gemacht?«
»Ja. Der Geldbote wurde zu einer stillgelegten Bahnstrecke geleitet, wo sich eine Lore befand. Der war so raffiniert, der hat sogar Stolperdrähte mit Knallkörpern angebracht, sodass wir bei seiner Verfolgung ein Feuerwerk ausgelöst haben.«
Weller fiel auf, dass Ann Kathrin geradezu respektvoll von Dagobert sprach. Sie mochte phantasievolle Menschen, selbst wenn sie kriminell waren, auch wenn sie das nie zugegeben hätte.
Rupert nahm nicht an der Besprechung teil. Er hatte sich in einer Ferienwohnung im Fischerweg eingenistet. Von dort aus hatte er einen wunderbaren Blick auf das Haus, in dem Wolfgang Müller vor sich hin brütete und auf Angela Riemann wartete.
Rupert hatte von hier aus auch freie Sicht auf die Terrasse und in den Garten eines anderen Ferienhauses. Dort saß ein Ehepaar
Weitere Kostenlose Bücher