Ostfriesensünde
die Kamera und sagte Worte, die Ann Kathrin nicht verstand. Im Hintergrund hörte sie zwei Männer reden. War der eine ihr Vater? Die Möglichkeit bestand.
Sie stellte den Ton lauter, aber dadurch wurden die Nebengeräusche zu einem heftigen Brummen, das jede Spracherkennung unmöglich machte.
Plötzlich war eine Hand im Bild, packte den Kopf der jungen Frau und drehte ihn nach rechts und links. Ann Kathrin konnte den Sinn nicht verstehen. Die junge Frau wehrte sich. Sie weinte und schrie, sie stand jetzt wie versteinert vor einer Wand. Es war ein anderer Raum. Sie trug andere Kleidung und wirkte verwirrt, eingeschüchtert. Das war kein Rock, sondern ein Krankenhaushemdchen.
Wo befand sie sich? Das war … ein Krankenhausflur? Nein, in einem Krankenhaus hingen keine Pin-up-Girls an den Wänden. Das waren nicht einfach Fotos aus Playboy oder Penthouse. Da hing nicht die Miss Oktober. Es waren Bilder aus Hardcorepornos.
Als Nächstes sah sie die junge Frau im Liegen. Sie schlief auf einem glänzenden Bett. Es war kein Bett, sondern eine Metallunterlage. Die Kamera schwenkte und zeigte den Raum. Es war zu Ann Kathrins Erschrecken ein Operationssaal. Ann Kathrin verschüttete ihren Kaffee.
Sie hatte die Eingangstür nicht gehört. Heiko Käfer stand wie eine Erscheinung vor ihr. Er füllte mit seiner massigen Gestalt die ganze Tür aus. Er schaltete den DVD -Recorder aus und richtete einen Revolver auf Ann Kathrin, Smith & Wesson, Modell 500 .
Mehr noch als über Heiko Käfers plötzliches Auftauchen war sie über die Waffe schockiert. Es war eine der wenigen Faustfeuerwaffen,
mit der Munition des Kalibers 500 S& W Magnum verschossen werden konnte. Die Waffe war für die Jagd auf Großtiere entwickelt worden, aber rasch hatten Straßengangs in den USA erkannt, dass man damit die Schutzwesten von Polizeibeamten durchdringen konnte. Der Revolver hatte nur fünf Patronen in der Trommel, bei den sonst üblichen sechs im Patronenlager wäre die Wandstärke nicht groß genug gewesen.
Heiko Käfer hielt nicht das übliche Modell 500 auf Ann Kathrin gerichtet. Sein Lauf war kürzer. Ann Kathrin erkannte eine Survival-Waffe, wie Buschpiloten in Alaska sie trugen, um sich bei einem Absturz gegen Bären oder andere Wildtiere verteidigen zu können.
Um nicht völlig verdattert und überrumpelt da zu sitzen, versuchte Ann Kathrin einen Scherz: »Haben Sie Angst, bei einer Dünenwanderung auf Spiekeroog von einem Grizzly gefressen zu werden?«
Er verstand die Anspielung sehr gut und ging auch gleich auf die gespielt heitere Ebene. »Damit habe ich schon UFOs abgeschossen und außerirdische Blutsauger gestoppt, die an der Küste gelandet sind, um Ostfriesen zu fressen.«
»Haben Sie gut gemacht. Wie man sieht, wimmelt es dank Ihrer Hilfe hier ja nicht gerade vor außerirdischen Monstern.«
Er musste den schweren Hahn spannen, bevor er schießen konnte. Im Western machten Revolverhelden das gerne mit dem Daumen, doch dabei würde er den Lauf der Waffe, um die Hand zu entlasten, für einen Moment nach oben richten. Diese Chance würde sie nutzen, um den Tisch, der zwischen ihnen stand, umzustürzen, ihm den heißen Kaffee ins Gesicht zu schütten und ihn zu entwaffnen. Sie konnte sicher sein, dass sie viel schneller war als er. Aber er spannte den Hahn mit der linken Hand und hielt dabei die Mündung auf ihre Brust gerichtet.
»Sie haben es sich ja schon gemütlich gemacht und bringen sich mit kleinen Filmchen in Stimmung. Gehe ich recht in der
Annahme, dass Ihr Bübchen … wie heißt der Warmduscher noch … ach ja, Weller, Frank Weller, es im Bett genauso wenig bringt wie sein Vorgänger Hero, dieses psychologische Weichei? Ich bin ja sowieso der Meinung, dass die meisten Seelenklempner selber einen Haschmich haben.«
Ann Kathrin ließ ihn reden und fragte sich, wie sie aus dieser Nummer wieder herauskommen sollte. Die Polizei konnte sie ja schlecht rufen – immerhin wurde sie gesucht. Ob er das bereits wusste?
»Und jetzt sind Sie zu mir gekommen, um die Liebesschaukel auszuprobieren, nicht wahr? Vor lauter Geilheit können Sie kaum noch aus den Augen gucken. Sie wollen von mir geschaukelt werden? Endlich einmal willenlos an der Decke hängen und nichts mehr entscheiden müssen?«
»Halten Sie den Mund. So lasse ich nicht mit mir reden!«
Er trat ein und ließ sich vorsichtig im Sessel nieder, als hätte er Sorge, der könnte sonst unter ihm zusammenbrechen. Dabei hielt er den Smith & Wesson Revolver immer konsequent
Weitere Kostenlose Bücher