Ostfriesensünde
einmal im Redefluss waren, unterbrach sie sie nicht mehr, sondern hörte ihnen einfach zu und filterte heraus, was für sie wichtig war.
Aber was tat man mit so einem, der gar nicht reagierte? Weller thematisierte das Problem: »Wenn Menschen sich umbringen wollen, dann werden sie meist mit irgendeiner Situation nicht fertig. Es zerreißt sie geradezu. Der Suizid ist eine Flucht vor etwas, das noch schlimmer erscheint. Verrat, zum Beispiel … «
Wenn Weller sich nicht täuschte, war da eine Reaktion. Ein Zucken der Wimpern, eine Rötung der Haut auf den Wangenknochen.
»Ich erlebe das nicht zum ersten Mal, Herr Henn. Manchmal erleichtert es die Menschen ganz enorm, wenn sie Namen nennen und eine Adresse. Den meisten geht es danach besser. Erleichtern Sie sich … Wir können die anderen gerne rausschicken, wenn Sie lieber mit mir allein sein wollen.«
Rupert machte eine protestierende Geste, aber Huberkran deutete ihm an, er solle sich ruhig verhalten. Auch er hatte registriert, dass es Weller gelang, zumindest punktuell, zu Henn durchzudringen.
»Haben Sie Ihre Freundin Edda Lübben selbst eingemauert? Oder hat es jemand für Sie erledigt? Haben Sie sich dem schlagenden Arm der »Gotteskinder« angeschlossen? Waren Sie selbst an diesen Aktionen beteiligt oder haben Sie nur Namen und Adressen geliefert? Helfen Sie uns, diesen Irrsinn zu beenden.«
»Ich war es nicht«, sagte Henn kraftlos.
»Na klar«, rief Rupert, »klar war er das nicht! Deshalb hat er auch versucht, sich aufzuhängen. Er ist ein Unschuldsknabe und erträgt einfach nicht, dass wir ihn solcher Straftaten verdächtigen.«
Huberkran fragte sich, ob dies Zusammenspiel zwischen
Ruperts provokativer Haltung und Wellers verständnisvollem Eingehen auf den Verdächtigen nicht vielleicht genau die richtige Methode war. Sie spielten hier nicht gerade »Guter Bulle – Böser Bulle«, sondern »Nervöser, überarbeiteter Bulle kurz vor dem Ausrasten – Gelassen, freundlicher Bulle mit psychologischem Einfühlungsvermögen«, aber als Rupert Henn am Unterarm fasste, ihn zu sich zog und zischte: »Lasst mich nur zehn Minuten mit ihm alleine, und wir wissen alles, Kollegen«, da wurde es Huberkran zu viel. Er schob Rupert aus dem Verhörraum.
Gemeinsam blieben sie vor der Tür stehen. »Ich habe ja Verständnis für solche Art von Spielchen«, sagte Huberkran, »aber jetzt reicht’s.«
»Wir müssen ihn einschüchtern«, forderte Rupert. »Er wird gleich zusammenbrechen und uns alles sagen. Vielleicht können wir Gaiser und Judith Harmsen noch retten … «
»Wollen Sie die beiden retten oder machen Sie solchen Druck, weil Sie Angst haben, dass Ann Kathrin Klaasen doch noch zu uns stößt?«
»Ach, die blöde Kuh!« Rupert drehte sich von Huberkran ab und stampfte zum Ende des Ganges. Dort drehte er sich noch einmal um, hob die Hand, als wolle er etwas sagen, streckte sogar den Zeigefinger aus in Richtung Huberkran, aber dann sagte er doch nichts, sondern verschwand einfach.
Im Verhörraum war Wellers Stimme ganz ruhig und leise geworden. »Wir sind doch jetzt allein. Nur unter uns – ich glaube Ihnen ja, dass Sie nicht der Täter sind. Also: Wer hat Judith Harmsen und Dr.Gaiser entführt?«
Henns Magenknurren brachte Weller auf eine Idee.
»Ich kann Ihnen nicht viel versprechen, aber ich kenne hier ein 1 a Fischrestaurant. Die liefern auch außer Haus. Ich könnte uns beiden etwas bestellen. Meinetwegen mit einem Bier dazu. Eine Scholle Finkenwerder Art mit Speck und Bratkartoffeln. Die haben auch erstklassige Schollenröllchen in Senfsauce. Also,
ich persönlich stehe ja mehr auf ganze Schollen. Ich mag auch diese Filets nicht. Ich finde es toll, wenn ich die Gräten vom Fisch trennen kann und … « Er winkte ab. »Aber das ist ja nicht jedermanns Sache. Wie mögen Sie es lieber?«
»Filets«, antwortete Henn.
»Mit Krabben oder mit Speck?«
»Krabben.«
Ich schaff’s, ich schaff’s, ich krieg ihn zum Reden, freute Weller sich und hoffte, dass jetzt keiner seiner Kollegen dieses Gespräch unterbrach. Es hörte sich nicht an wie ein Verhör, aber es war eins. Er baute sich eine Brücke zu Henn.
»Ich liebe gutes Essen. Gutes Essen ist wichtig für mich. Ich finde, gutes Essen ist mindestens so wichtig wie guter Sex. Wie ist das für Sie?«
Henn blickte Weller staunend in die Augen. Weller fuhr fort: »Wissen Sie, in meiner Kindheit war das ganz anders. Bei meinem Vater wurde nur schnell gegessen, damit endlich gespült werden
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