Ostfriesensünde
war blass im Gesicht, seine Bewegungen fahrig, aber Ann Kathrin wirkte jetzt, als würde es ihr bessergehen.
Rita sagte nichts, wich aber keinen Schritt von ihrer Seite. Sie würde Ann Kathrin unterstützen, das machte sie körperlich
klar, durch die Art, wie sie dastand. Dazu brauchte sie keine Worte.
Weller wusste, dass er auf verlorenem Posten stand. Er kannte ihre Methode, allein am Tatort sein zu wollen, eins zu werden mit dem Tatort, ja ein Zwiegespräch mit ihm zu führen. Aber das hier ging entschieden zu weit.
Peter Grendel spürte zunächst den tiefen Vertrauensbeweis, der in Ann Kathrins Ansinnen lag.
»Bitte verlangt jetzt keine Erklärungen von mir«, sagte Ann Kathrin. »Ich will nicht argumentieren. Ich weiß, dass sich das verrückt anhört. Aber mit den vernünftigen kriminalistischen Methoden, wissenschaftlich abgesichert und exakt, seid ihr ja nicht weitergekommen«, sagte sie in Richtung Weller, was der ein bisschen ungerecht empfand, denn noch hatte er mit dem Fall ja gar nichts wirklich zu tun gehabt. Sie meinte damit ihn, stellvertretend für die Arbeit der SOKO Maurer.
»Ich werde wahrscheinlich Schreikrämpfe kriegen«, sagte sie zu Peter Grendel, »aber du musst einfach weitermachen. Ich muss in die Rolle des Opfers kommen, um herauszufinden, was der Mörder wirklich will.«
Peter Grendel machte es ihr leicht. »Schon klar, Ann«, sagte er. »Wir müssen für Luftzufuhr sorgen. Ich kann ja einen Stein rauslassen und dann … «
»Nein. Die Wände waren ganz geschlossen.«
»Das geht nicht. Dann erstickst du.«
»Er muss ein Luftloch gelassen haben. Irgendwie.«
Peter Grendel verzog den Mund. »Das geht, Ann, aber es ist ein gefährliches Spiel. Wann weiß ich, dass ich dich wieder rausholen soll?«
»Na ja, du könntest über dein Handy … «, warf Weller ein und sah an ihrem Gesicht, dass sie seiner Idee nicht folgen würde.
»Nein. Kein Handy. Die Frauen hatten auch kein Handy.«
Peter Grendel stellte klar: »Ja, aber ich muss ja irgendwie wissen, wann ich dich wieder rausholen soll.«
Ann Kathrin wischte sich mit dem Handrücken über die trockenen Lippen. Sie hörte Otto Grootes Stimme und wäre zu gern im Saal gewesen.
»Ich werde ausflippen und schreien und kreischen, aber du darfst mich nicht rausholen, Peter.«
»Na ja, irgendwann muss ich es tun«, sagte Peter Grendel und schluckte. Er wusste, dass er eine verrückte Nachbarin hatte, aber erst jetzt ahnte er, wie verrückt sie wirklich war. Er wusste nicht, wie weit sie gehen würde.
Rita Grendel versuchte, alles mit einem Scherz aufzulockern. »Soll das eine neue Diät werden oder was? Eingemauertes Abnehmen?«
»Wir können eine Zeit vereinbaren«, schlug Peter vor. »Sagen wir, eine halbe Stunde oder eine Stunde, und dann hole ich dich wieder raus.«
Weller stöhnte.
»Die Einzelheiten«, sagte Ann Kathrin, »können wir ja noch besprechen. Ich weiß selbst noch nicht, wie es laufen soll. Ich weiß nur, dass es eine Möglichkeit ist, herauszubekommen, was der Typ will.«
Rita räusperte sich. »Ich kann dir gar nicht sagen, Ann, wie viel Respekt ich vor dem habe, was du tust.«
Damit sprach sie aus, was alle dachten, bei allen Bedenken.
Gemeinsam gingen sie an ihren Tisch zurück, und es kam Weller so vor, als würde Ann Kathrin aufrechter gehen. Sie goss sich ein Glas Rotwein ein und leerte es in einem Zug.
Otto Groote stimmte den Song »Jesmeerwellen« an, Wellers Lieblingslied. Er hatte Mühe, nicht laut mitzusingen. Ann Kathrin tat es.
»Jetzt könnte ich, glaube ich, doch einen Schnaps vertragen«, sagte Peter Grendel.
Er war ein Observierungsprofi. Früher hatte er Wohnungen verwanzt, aber nie war es leichter gewesen als heutzutage. Vorbei die Zeiten der Richtmikrophone, der Ärger mit den Batterien, die nie reichten, und schon ein kurzer Raumwechsel, eine Zigarettenpause auf dem Flur, konnte die mühsam geplante Abhöraktion zunichtemachen.
Später nähte er Chips, nicht größer als ein Fingernagel, in die Kleidung der zu belauschenden Person ein, versteckte Mikros in Haarspangen und Knöpfen. Heute war es noch einfacher. Die kleinen Kügelchen ließen sich im Vorbeigehen einer Person ans T-Shirt schießen. Sie erinnerten ihn an die kleinen Kletten seiner Kindheit, die er zwischen zwei Finger nahm und wegschnippte. Er konnte sie meterweit schießen und zielte gern auf die Nacken seiner Klassenkameraden. Die Dinger blieben an der Kleidung hängen und juckten.
Er musste sich zugestehen, dass
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