Ostfriesensünde
überlegen, das Spiel abbrechen oder … genau, oder sie hatten ihre Lektion gelernt.
War das Ganze als eine Art pädagogische Maßnahme gedacht? Sollte das Opfer etwas über sich lernen, etwas von sich preisgeben?
Ann Kathrin wäre bereit gewesen, alles von sich zu erzählen, selbst die intimsten Geheimnisse, nur um Peter dazu zu bringen, bei ihr zu bleiben. Er hatte jetzt die absolute Macht.
Als sie ihre eigene Stimme hörte, begriff sie, dass sie weinte und ihr die Nase lief, als sie flehte: »Bitte geh nicht weg, Peter. Bitte bleib da.«
»Aber klar«, beruhigte er sie und versuchte einen Witz: »Ich habe noch nie eine eingemauerte Frau hinter der Wand vergessen, da kannst du jeden in unserer Siedlung fragen. Soll ich dich jetzt rausholen?«
Sie antwortete zunächst nicht. Er griff nach dem Hammer.
Aber dann hörte er ihre wütenden Worte: »Nein, verdammt! Wir haben eine Verabredung! Halte dich daran, egal, was ich hier abziehe und dir vorsülze.«
Peter Grendel stellte den Hammer wieder ab. Werde einer aus dieser Frau schlau, dachte er und war froh, mit Rita verheiratet zu sein und nicht mit seiner Nachbarin Ann Kathrin Klaasen.
Ihr tat es jetzt leid, dass sie so patzig und vorwurfsvoll war. Sie hätte sich am liebsten entschuldigt, kriegte das aber im Moment nicht hin. Stattdessen sagte sie nur sachlich: »Ich habe gerade wichtige Erkenntnisse. Ich komme dem Täter näher.«
»Na klasse, da freuen wir uns aber alle. Wenn du ihn verhaftet hast, sag Bescheid. Ich lass euch beide dann raus.«
Seine Antwort tat ihr gut. Er war also nicht sauer. Sie konnte sich auf ihn verlassen.
Ann Kathrin ging jetzt in ihrem Verlies auf und ab. Sie war in der Lage, ihren Verhörgang auch hier aufrechtzuerhalten. Drei Schritte, eine scharfe Kehrtwendung, drei Schritte. Sie machte sogar den gewohnten Blick auf den Verdächtigen nach dem zweiten Schritt, obwohl sie natürlich nichts sah, nicht einmal die Wand, so dunkel war es.
Sie spürte einen irren Druck zu sprechen, so als müsse sie reden, um weiter zu existieren, und sie brauchte hinter der Wand jemanden, der ihr zuhörte.
Ging es darum? War das Ganze eine Beichtstuhlsituation? Sollten die Opfer dazu gebracht werden, etwas zu gestehen? Sie war jedenfalls bereit, sich völlig zu entäußern.
Eine nie gekannte Form der Redesucht erfasste sie. Eine Art Sprechdurchfall. Sie kannte den Zustand der Logorrhoe von
Personen, die unter Alkoholeinfluss standen. Zweimal hatte sie es beruflich mit ängstlichen, erregten, paranoiden Menschen zu tun gehabt. Die eine spickte ihre verschachtelten Sätze mit unflätigen Schimpfworten und Verbalinjurien auf Politiker. Rupert hatte später gesagt, die arme Frau sei zwar völlig verrückt, hätte aber im Grunde in dem Punkt recht gehabt.
Nun ließ Ann Kathrin Wortkaskaden auf Peter Grendel niederprasseln. Sie sprach über ihre Schuld am Scheitern ihrer Ehe, obwohl Hero sie betrogen hatte, nicht sie ihn. Trotzdem glaubte sie, ihn mit ihrem Verhalten praktisch in die Arme von Susanne Möninghoff getrieben zu haben. Genauso schuldig fühlte sie sich ihrem Sohn gegenüber. Ihr Redeschwall gipfelte in dem Satz: »Ich hätte mich auch verlassen!«
Peter Grendel hörte sich alles geduldig an und biss in einen Hähnchenschenkel.
Auf dem Weg nach Delmenhorst zu den Eltern von Judith Harmsen hielt Weller in Hesel und aß im Stehen zwei Fischbrötchen. Erst eins mit Matjes und dann eines mit Brathering. Dazu trank er ein Jever Fun und eine eiskalte Dose Cola Zero. Danach fühlte er sich besser.
Er versuchte, nicht an Ann Kathrin zu denken. Das gelang ihm. Aber diese verfluchte Rechenaufgabe ging nicht aus seinem Kopf.
Als Huberkran anrief und sich nach dem Stand der Dinge erkundigte, kam ihm das sehr gelegen.
»Ich muss dich mal etwas fragen. Also, es klingt ganz einfach, aber irgendwo muss ein Denkfehler sein und ich finde ihn nicht. Drei Jungen gehen in einen Laden, die wollen sich einen Fußball kaufen. Der kostet dreißig Euro. Jeder Junge gibt zehn Euro … «
Huberkran fragte sich, während er zuhörte, ob er sich nicht vielleicht doch in Frank Weller vertan hatte. Vielleicht nahm
er harte Drogen, oder wie sonst konnte er auf die Idee kommen, ihn mit so einem Mist zu belästigen? Trotzdem machte er widerwillig mit, um nicht als Spielverderber dazustehen. Brav räumte er auch ein, dass dreimal neun siebenundzwanzig sei, und am Ende wusste auch er nicht, wo der fehlende Euro geblieben war.
Er redete sich raus: »Ich bin Leiter
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