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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Seite der Gelsenkirchener Geschichten, aber Ann Kathrin hatte das Gefühl, öffentlich
antworten zu müssen. Irgendwie war sie es ihrem Vater schuldig, fand sie.
    »Ich kann Ihren Zorn verstehen und das Unfassbare, das Ihnen geschehen ist, erfüllt mich mit Wut und Trauer. Man kann es nicht wiedergutmachen. Aber ich möchte Ihnen sagen, dass der Mensch, den Sie als Ludwig Stein kennengelernt haben, falls er wirklich der Mann ist, der mein Vater war, zwei Gesichter hatte. Ich habe ihn als liebevollen, verständnisvollen Vater kennengelernt. Er hat mir die Welt erklärt und versucht, mir Werte beizubringen. Sicherlich werden Sie verstehen, dass Ihre Ausführungen mich zutiefst erschüttern. Trotzdem – oder gerade deshalb – sind verschiedene Fragen für mich wichtig:
    Wie hießen die Männer, an die Sie vermittelt oder gar verkauft wurden? Ich denke, man könnte sie noch heute juristisch zur Rechenschaft ziehen.
    Wer war der Rechtsanwalt, der Sie abholen sollte, als Sie geflohen sind?
    Wie hieß das kranke Arschloch, das eine stumme Frau kaufen wollte?«
    Ann Kathrin löschte »das kranke Arschloch« und schrieb stattdessen »Kunde«, obwohl ihr der erste Begriff passender erschien.
    Sie las den Text noch einmal. Er kam ihr noch nicht stimmig vor. Sie wollte ein Treffen vorschlagen, sie musste dieser Frau in die Augen sehen. Wie ernst war das alles? Neigte sie zu Übertreibungen? War der Beitrag überhaupt von einer Frau?
    Für einen Moment flammte der Verdacht in ihr auf, jemand versuche sie reinzulegen.
    Dann machte sie einen Fehler. Sie wollte eigentlich die Rechtschreibprüfung veranlassen, drückte aber versehentlich auf »Senden«, und schon stand ihr Brief im Netz.
    Mist.
    Sie fragte sich, ob das jetzt eine Freud’sche Fehlleistung gewesen
war, und ärgerte sich über sich selbst, gleichzeitig war sie erleichtert, es getan zu haben.
    Sekunden später hatte sie eine Antwort.
    »Du willst etwas für mich tun. Prinzessin? Schick mir Geld. Gib mir etwas von der Kohle zurück, die dein Alter aus mir rausgeholt hat. Kim 12 .«
    »Ich glaube kaum, dass man das Ihnen widerfahrene Leid mit Geld wiedergutmachen kann, aber ich würde Sie gerne treffen«, antwortete Ann Kathrin.
    »O doch, das kann man. Ich lebe im Moment von knapp sechshundert pro Monat. Mein Auto wurde gepfändet, mein Kühlschrank ist kaputt, und mein Vermieter repariert die Scheiß-Klimaanlage und die Toilettenspülung nicht, weil er meint, das sei meine Aufgabe. Deine Ausbildung wurde von mir bezahlt, Prinzessin, und all die schönen Weihnachtsgeschenke von Daddy. Dafür hab ich die Beine breitmachen müssen. Ich habe deinen Wohlstand mit meiner Freiheit bezahlt.«
    Am liebsten hätte Ann Kathrin den Computer gegen die Wand geworfen und alles rückgängig gemacht. Die Kriminalistin in ihr warnte: »Vorsicht, das ist ein ganz mieser Trick, du sollst abgezockt werden!« Aber da war auch eine andere Stimme, die redete ihr eine Mitschuld ein, forderte sie auf, jetzt bloß nicht die Augen zu verschließen, nur weil das Ergebnis ihrer Recherche anders war als erhofft.
    Sie sah zum Bild ihres Vaters. Sie war Polizistin genug, um zu wissen, dass das, was er angeblich getan hatte, durch keine überwachungstaktische Maßnahme zu rechtfertigen war.
     
    Weller wusch unten in der Küche frische Miesmuscheln unter fließendem Kranwasser. Er rieb sie sogar mit einer harten Bürste ab. Er brauchte das jetzt. Kochen beruhigte ihn. Er trank dabei ein Glas von dem trockenen Weißwein, in dem er später die Muscheln kochen wollte.
    Huberkran sah ihm zu und bewunderte Wellers souveräne Handbewegungen. Er freute sich auf die Muscheln.
    Er fragte sich, warum er selbst nie kochte. Vielleicht, dachte er, braucht man einen Gast am Tisch, um mit solcher Freude und Leidenschaft wie Weller so ein einfaches Gericht zuzubereiten. In Wellers Bewegungen lag fast so etwas wie eine Choreographie.
    Drei Muscheln waren bereits geöffnet, die warf Weller in den Biomüll. Er hatte drei Kilo Miesmuscheln gekauft. Der Berg wirkte auf Huberkran, als könnten die drei ihn unmöglich aufessen.
    Huberkran kam sich überflüssig vor, als drittes Rad am Wagen, aber Wellers Nähe tat ihm gut. Beruflich war er jetzt Wellers Chef in der SOKO Maurer, aber privat war Weller sein Vorbild. Nach langer, quälender Ehe hatte Weller trotz Kinder die Scheidung geschafft und war, das sah Huberkran ganz deutlich, wieder ein glücklicher Mensch geworden.
    Während Weller die Schalotten, Karotten und

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