Ostfriesensünde
Küchenzwiebeln mit einem scharfen Messer zerhackte, telefonierte Huberkran mit seinem Handy. Die ersten Überprüfungsergebnisse trafen ein. In zwei Fällen war der Mörder inzwischen gefasst und verurteilt worden. Die Kollegen hatten nur vergessen, diese Fahndungserfolge in die entsprechenden Systeme einzutragen.
Wellers Messer erinnerte Huberkran an einen Serienkiller. Er hatte besonders scharfe, edle Küchenmesser benutzt, um Teile seiner Opfer abzuschneiden, weshalb einige Kollegen zunächst davon ausgingen, es mit einem Kannibalen oder einem Chirurgen zu tun zu haben, aber das war ein Irrtum.
Weller ließ Butter in einem großen Topf zerlaufen. »Darin mache ich sonst meine Fischsuppe«, sagte er stolz und warf das Gemüse in den Topf. Es zischte und knisterte. Um diese den Magen anregenden Töne auch hören zu können, hatte Weller die Dunstabzugshaube ausgeschaltet.
Er würzte sein Gemüse mit Salz und Pfeffer aus übergroßen,
baseballschlägerähnlichen Mühlen, dann nahm er mit spitzen Lippen noch einen Schluck Weißwein und goss den Rest der Flasche in den Topf.
Huberkran nahm die Weinflasche und sah sie sich fachmännisch an. Es war ein Elsässer Sylvaner. Im Kühlschrank warteten noch zwei Flaschen. Huberkran vermutete, Weller würde nun in einem anderen Topf die Muscheln kochen, doch das tat Weller nicht. Er gab die Muscheln in den köchelnden Weinsud. Im Backofen wurden zwei Baguette knusprig. Weller nahm sie heraus und schaltete die Temperatur aus. Dann legte er die Servierplatte zum Aufwärmen in den Ofen.
»Du kannst den Tisch decken«, sagte Weller zu Huberkran, ohne sich zu ihm umzudrehen. Er hackte stattdessen Petersilie klein und verknetete Mehl und Butter mit der Petersilie zu einer Paste.
Huberkran suchte im Schrank nach Geschirr. Er packte drei tiefe Teller auf den runden Küchentisch und dazu drei Weingläser und Besteck. Es fiel Huberkran auf, dass Weller nicht ein einziges Mal abschmeckte. Entweder war er sich sehr sicher bei allem, was er tat, oder er wollte sich selbst mit dem Geschmack überraschen.
Weller warf einen kurzen Blick auf den Tisch, dann grinste er und fragte: »Das nennst du Tisch decken?«
Der Satz traf Huberkran. Da schwang für ihn so etwas mit wie: »Kein Wunder, dass deine Frau einen anderen hat.«
Weller stellte zwei gelbe Kerzen auf den Tisch und holte gleichfarbige Servietten aus einer Schublade. Es war nicht viel, aber es sah gleich ganz anders aus.
So decken Menschen den Tisch, die sich wertschätzen und lieben, dachte Huberkran, und es gab ihm einen Stich, den er körperlich im Bereich des Solarplexus spürte wie eine heiße Klinge. Er war froh, dass ein Kollege aus Frankfurt anrief und die Daten der Überprüfung durchgab.
Weller nahm die Weingläser vom Tisch. »Das sind Rotweingläser«, stellte er fest. Sein Humor war so trocken wie der Wein, fast schon ein bisschen säuerlich.
Weller schnitt Baguette in fingerdicke Scheiben und legte die Scheiben auf die warme Servierplatte, dann nahm er eine Kelle von dem dampfenden Muschelsud aus dem Topf und rührte mit einem Schneebesen Sahne hinein. Dazu gab er dann die Mehlbutterflocken. Er hob die Muscheln aus dem Topf und löste sie aus den Schalen. Eine Muschel, die sich nicht geöffnet hatte, landete im Biomüll. Das Fleisch der anderen verteilte er auf die Baguettescheiben und ließ seine cremige Soße darübertropfen. Dann, als er schon die Pfeffermühle darüber kreisen ließ, rief er: »Ann! Schönste! Ein zauberhaftes Muschelgericht wartet auf dich!«
Huberkran fand das reichlich übertrieben und hielt sich angenervt ein Ohr zu, gegen das andere presste er sein Handy. Er verließ die Küche und telefonierte im Flur weiter.
Es hatte in der SOKO ein Brainstorming gegeben. Für Huberkran hörte sich das Ergebnis aber mehr nach einem linden Lüftchen an als nach einem Sturm.
Weller stellte die Servierplatte mit dem Muschelbrot in die Mitte. Er war zufrieden mit sich.
Zusammen mit den Muscheln in Weißwein wartete jetzt ein vielversprechendes Abendessen, dessen Duft das ganze Haus erfüllte, aber weder Ann Kathrin noch Huberkran setzten sich an den Tisch.
Huberkran telefonierte, und Ann Kathrin rührte sich gar nicht. Weller entschied, sie persönlich abzuholen und erst dann die Muschelsuppe auf die Teller zu geben. Er war ein bisschen gekränkt, dass scheinbar niemand seine Küchenkünste zu würdigen wusste.
Ann Kathrin saß am Computer. Sie wirkte kraftlos und erschüttert auf ihn. Er nahm sie
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