Ostfriesensünde
großes Vertrauen, einige reisten ihm nach, wenn sie Probleme hatten oder nutzten die Routineuntersuchungen zu einem Kurzurlaub an der Küste. Er führte Abtreibungen durch und arbeitete mit Hotels zusammen, in dem sich die Frauen, oft mit ihren Partnern, erholen konnten.
In Leer gab es eine Patientinnenkartei mit mehr als eintausendvierhundert Namen.
In St. Gallen war es schwierig, an die entsprechende Liste zu kommen, weil die Gemeinschaftspraxis nicht mehr existierte.
In Luzern war die alte Praxis an einen Nachfolger übergeben worden, und es war angeblich nicht unkompliziert, alte Adressen von neuen zu trennen. Außerdem wollte Dr.Edelmoser erst seinen Anwalt fragen, ob er die Adressen seiner Patientinnen überhaupt herausrücken müsse. Er befürchtete wohl, das sei schlecht fürs Geschäft.
Die Patientinnenkartei aus Bamberg hatte Dr.Gaiser mit
nach Leer genommen, allerdings war alles auf alten Floppys gespeichert, und es gab im Moment für diese veraltete Technik keine Abspielgeräte mehr. Die Hardware musste erst beschafft werden.
Charlie Thiekötter hatte Möglichkeiten und privat eine Art Museum für Computerschrott, aber er war nach einem Herzinfarkt in der Reha. Sein Stellvertreter fand sich in dem Chaos noch nicht zurecht, und die Computerfachleute aus Oldenburg, Hannover, Leer und Bremen waren zu einem Lehrgang in Emden. Dort weihte ein ehemaliger Hacker mit zig Vorstrafen die Beamten in die neuesten Tricks ein.
Dreihunderteinundsechzig Frauen hatten den Wohnort gewechselt und einige auch den Namen. Es war nicht leicht, sie alle aufzuspüren, und zu einhundertzwölf hatten sie noch keinen Kontakt herstellen können, aber siebzehn waren eindeutig verschwunden und als vermisst gemeldet worden.
Huberkran verglich die Zahlen. Endlich hatte er etwas Handfestes.
»Er schlägt in einem Rhythmus von sechs Monaten zu. Er holt sich im Sommer mindestens eine, manchmal zwei Frauen. Jeweils zwischen Juli und August und dann noch mal eine im Winter um die Weihnachtszeit herum. Er hat vor vierzehn Jahren begonnen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir es mit achtundzwanzig bis zweiundvierzig Eingemauerten zu tun haben. Es sei denn, er hat auch andere Frauenarztpraxen ausgewertet. Daran wage ich zunächst nicht zu denken … «
»Immer im Sommer und Winter sind Frauen verschwunden. Das kann bedeuten, er geht einem ganz normalen Job nach und mordet in den Ferien«, sinnierte Weller.
»Im Sommer holt er sich zwei und im Winter nur eine, weil er im Sommer länger Ferien hat«, rief Rupert ein bisschen zu begeistert über seinen Gedankenblitz.
Um Ruhe vor den Fernsehteams zu haben, die inzwischen sowohl
das Ärztehaus in Leer als auch die Polizeiinspektion Aurich belagerten, fand die Besprechung in einem zauberhaften, versteckt gelegenen Café in Marienhafe statt, in der Störtebeker-Teestube. Es gab hinten einen separaten Raum mit gemütlichen Sofas und kleinen Tischen. Dort, wo sonst ostfriesische Künstler vor dreißig oder vierzig Gästen in fast intimem Rahmen auftraten, tagte heute die SOKO Maurer.
Aus der Küche wurden sie mit heißen Brezeln bewirtet. Rupert aß schon die dritte und liebäugelte mit der Ostfriesischen Sahnetorte, aber er fragte sich jetzt, ob das alles hier von der Dienststelle bezahlt wurde oder ob er gleich für jeden Kaffee eine Rechnung bekam.
Ein SOKO -Mitarbeiter, der durch seinen gezwirbelten Schnauzbart auffiel und einen Fernsehkoch sowohl in den Gesten als auch in der Sprache nachahmte, vermutete, ein Lehrer könnte der Täter sein. »Wenn wir den Ferienbeginn in den unterschiedlichen Bundesländern vergleichen, wissen wir sogar, wo er wohnt.«
»Na ja«, sagte Weller, »wo er wohnt, ist gut. Aber wir kennen dann höchstens das Bundesland, außerdem gibt es garantiert Überschneidungen zwischen Bayern und NRW oder so. Außerdem … wieso Lehrer?«
Der SOKO -Mann drehte an seinen Bartspitzen, als würde er dort sein Gehirn wie ein altes Radio einschalten. »Ist doch klar. Er will die Frauen bestrafen, ihnen etwas beibringen. Das waren doch die Erkenntnisse eurer legendären Kommissarin, die im Prinzip ja auch bei uns im Team ist … also, wenn sie mal Zeit hat … «
Weller nahm sich vor, auf die Spitze nicht zu reagieren. Er verschränkte nur die Arme vor der Brust und lächelte bemüht.
Der andere fuhr fort: »Und unser Lehrer will den Frauen etwas beibringen. Leider überleben sie das nicht.«
Rupert biss ein Stück von der Brezel ab und rief mit vollem
Mund:
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