Ostfriesensünde
»Ein Lehrer? Glaub ich nicht! Kennst du ’n Lehrer, der bauen kann?«
»Ein Berufsschullehrer vielleicht oder einer, der sein Häuschen mit viel Eigenleistung kostengünstig … «
Weller lachte. »Na endlich, das engt den Kreis der Verdächtigen ein. Wir suchen also einen Berufsschullehrer, der vor mindestens vierzehn Jahren ein Eigenheim mit viel Eigenleistung gebaut hat oder der aus einem Bauunternehmen stammt.«
Rupert grinste. Gemeinsam hatten sie es dem eingebildeten Zwirbelbartträger gegeben.
Huberkran hatte sich an dem Gespräch nicht beteiligt, sondern etwas in seinen Laptop eingetippt. Jetzt sagte er trocken: »Niedersachsen. Es waren jedes Mal Ferien in Niedersachsen, wenn eine Frau verschwand.«
Er schlief nicht mehr gut. Seit diese Ann Kathrin Klaasen die gesamte Akte im Internet veröffentlicht hatte, fühlte er sich nicht mehr wohl. Bis dahin war alles gut gelaufen, aber dieser Thread auf den Gelsenkirchener Geschichten schreckte viele Leute auf.
Alte Geister erwachten. Stenger rief ihn mitten in der Nacht an. Der alte Strippenzieher war ganz panisch. In seiner idiotischen Angst nannte er am Telefon sogar Namen. Er glaubte, auf einem der Fotos sei er selbst zu erkennen.
»Na klar«, hatte er geantwortet, »so gut, wie man einen Mann mit einer Maske eben erkennen kann.«
Aber für Ironie war Stenger nicht mehr zugänglich. Er wollte in vierzehn Tagen seinen sechzigsten Geburtstag feiern. Er hatte vor, sich zur Ruhe zu setzen. Sein Herz vertrug den Stress nicht mehr.
Früher hatte er davon geträumt, den Rest seines Lebens reich und fröhlich in Thailand zu verbringen. Von schönen Frauen wollte er sich am Pool Drinks servieren lassen. Inzwischen war ihm die gute ärztliche Versorgung in der Heimat wichtiger.
Das Haus hatte er längst verkauft. Der alte Hengst war ein Weichei geworden. Er würde kein Verhör mehr überstehen. Schon ein paar Stunden in der Zelle würden ausreichen, um ihn zusammenbrechen zu lassen.
Vielleicht würde er es gar als befreiend empfinden, einmal jemandem sein Leben zu erzählen, der sich wirklich dafür interessierte. Ihm war zugetragen worden, dass Stenger seine Lebensgeschichte auf Band sprach. Allein das hätte gereicht, ihn zu erledigen. Er war überfällig, im Grunde nur noch eine Bedrohung.
Er fragte sich, warum er Stenger bisher verschont hatte. Vielleicht, weil Stenger im Gegensatz zu ihm der offensichtlich Böse war.
»Wer bin ich eigentlich noch?«, hatte Stenger ihn damals vorwurfsvoll gefragt. »In meiner eigenen Firma habe ich nichts mehr zu sagen. Ich halte nur noch offiziell den Kopf hin.«
Ja, an klarem, analytischem Verstand hatte es ihm noch nie gemangelt. Er hatte diese Organisation aufgebaut und eine Weile abkassiert. Der Laden war wie eine Lizenz, Geld zu drucken. Er hatte sich gut zwei Jahrzehnte lang gefühlt wie ein Gott. Er besaß alles. Geld. Frauen. Und es gab kaum jemanden, der es wagte, ihm zu widersprechen, bis dann einer kam, der stärker war, ihm alles wegnahm und ihn zur Marionette machte.
Er lächelte. Und jetzt würde er ihm das Leben nehmen.
Er hatte nie große Probleme damit gehabt, jemanden auszuknipsen, er tat es emotionslos, wie andere Leute Fische filetierten, Hühnereier köpften oder Fleischmasse in Naturdärme drückten. Es war ein präzises Handwerk, das Töten, und auch da gab es wie überall Stümper und Könner. Er beherrschte es meisterhaft.
Er hatte nicht vor, Stenger mit einem Schuss aus dem Präzisionsgewehr zu töten. Kein glatter Kopfschuss aus weiter Distanz. Nein, es sollte nach einer Handlung im Affekt aussehen,
nach rasender Wut, nach Rache. Er würde ihn voll Blei pumpen. Ja, er freute sich darauf, eine Riesensauerei zu veranstalten.
Er hatte eine Walther P 1 . Sie war vor gut zwanzig Jahren aus alten Bundeswehrbeständen gestohlen worden. Acht Patronen im Magazin, Kaliber 9 Millimeter. Das Griffstück war nicht aus Stahl wie bei der P 38 , sondern aus Leichtmetall. Daher war sie nicht so schwer.
Für ihn war die Waffe zu plump. Die Geschosse hatten einen leichten Rechtsdrall und die Mündungsgeschwindigkeit lag bei 340 Metern pro Sekunde. Schon bei einem Abstand von vierzig bis fünfzig Metern wurde die Waffe ungenau. Aber für seine Zwecke war sie genau richtig. Er würde sie sogar am Tatort zurücklassen.
Er weidete sich an der Vorstellung, welche Vermutungen sich für die Mordkommission daraus ergeben würden und welche Rückschlüsse sie logischerweise ziehen mussten.
Stenger war
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