Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
klingelte oder klopfte, würde sie es ignorieren.
Sie löschte auch in der Küche das Licht. Roxy stand stocksteif neben ihr und hatte die Ohren gespitzt. Aus Richtung Diele und Hauswirtschaftsraum war ein leises Knacken zu hören. Das war nur die Gastherme – gleich würde ein monotones Rauschen zu hören sein, wenn die Pumpe wieder einsetzte. Aber es folgte nichts dergleichen. Stattdessen war aus Roxys Kehle ein leises Knurren zu vernehmen. Wieder dieses knackende Geräusch, undefinierbar, woher es kam. Der Gedanke, der nun folgte, verursachte Katja ein Gefühl wie bei einem kalten Schauer: Verdammt! Hatte sie beim Verlassen des Hauses heute Morgen überhaupt die Nebeneingangstür, die vom Hauswirtschaftsraum zum Carport führte, verschlossen? Katja war zurückgelaufen, um sich noch ein zweites Paar Laufschuhe zu holen. Sie hatten es eilig gehabt, und sie konnte sich jetzt nicht mehr erinnern, ob sie hinter sich abgeschlossen hatte. Vielleicht war jemand durch die Nebeneingangstür hereingekommen und stand nun, fünf Meter von ihr entfernt, im Hauswirtschaftsraum und wartete. Worauf? Dass sie nach oben ging und einschlief?
War es derjenige, der auf Timo geschossen hatte? War sie ebenfalls in Gefahr? Sie weigerte sich, weiter in diese Richtung zu denken. Sie musste sich auf das Praktische konzentrieren, wenn sie nicht den Verstand verlieren wollte: Was konnte sie tun? Aus dem Haus rennen und wegfahren oder im Nachbarhaus klingeln? Jemanden anrufen? Die Polizei? Katja konnte sich vorstellen, was die denken würden, wenn sie jetzt dort anrief: ein Nervenzusammenbruch! Kein Wunder, nachdem jemand ihren Mann heute Nachmittag quasi vor ihren Augen erschossen hatte. Und bis ein Streifenwagen hier wäre, hätte sich die Situation sowieso auf die eine oder andere Art und Weise entschieden.
Fast wünschte Katja sich, ein weiteres Geräusch aus dem Raum nebenan zu hören, einfach um sicher zu sein. Sollte sie den Hund dorthin schicken? Timo würde sich jetzt eine x-beliebige Waffe greifen und nachsehen. Vielleicht die Bronzeskulptur der nackten Frau im Esszimmer? Oder ein Messer? Es klopfte leise an der Haustür. Um einen Aufschrei zu unterdrücken, presste Katja ihre Hand vor den Mund.
4. Kapitel
K atja stand reglos in der Diele. Im Dämmerlicht sah sie, wie sich die Türklinke der Haustür langsam, ganz langsam, nach unten bewegte. Roxy knurrte kurz, dann bellte sie laut. Katja war sich sicher, dass sie abgeschlossen hatte. »Wer ist da?«, rief sie laut. Nichts. »Sagen Sie, wer Sie sind, oder verlassen Sie sofort mein Grundstück!«
»Katja, ich bin’s nur. Solveigh …«
Die dumme Nuss! Vor Erleichterung leise fluchend, öffnete Katja ihrer Freundin die Tür. Vorhin hatte sie noch an sie gedacht, und nun war sie da.
»Ihr wart doch auf dem Priwall heute? Bei einem Orientierungslauf, das hast du mir neulich erzählt. Ich habe den ganzen Nachmittag versucht, dich anzurufen. Auf dem Handy ging keiner dran, und im Festnetz hat sich nur der Anrufbeantworter gemeldet. Euch ist doch nichts passiert, Katja, oder?«
»Es hat einen Unfall gegeben.« Katja fühlte sich wie erstarrt. Warum konnte sie es nicht sagen?
»Ich habe gehört, dass jemand erschossen wurde!«
Solveigh sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Katja, du bist so anders. Und wo ist Timo?«
Katja schwieg.
»Sag mir bitte, dass Timo nichts passiert ist!«
»Er ist tot, Solveigh. Er wurde beim Laufen von zwei Kugeln getroffen.«
Katja musste ihre Freundin auffangen, der direkt vor ihr die Knie nachgaben. Solveigh schluchzte. »Oh Gott, nein! Wie schrecklich! Wie kann denn so etwas passieren?« Katja bugsierte sie ins Wohnzimmer aufs Sofa, knipste das Licht wieder an und wickelte sie in die Decke, wie es Helga und Gunnar vorhin mit ihr getan hatten. »Einen Moment«, sagte sie und ging noch mal zurück in die Diele. Jetzt, in Gesellschaft eines anderen Menschen, selbst so einer Memme wie Solveigh, kam ihr das Knacken, das sie gehört hatte, längst nicht mehr so unheimlich vor. Sie riss die Tür zum Hauswirtschaftsraum auf: leer, wie es zu erwarten gewesen war. Die Nebeneingangstür war verschlossen. »Werd bloß nicht hysterisch«, flüsterte sie sich zu und ging zurück in den Wohnbereich. Solveigh saß noch so da, wie sie sie zurückgelassen hatte.
»Möchtest du einen heißen Kakao, zur Beruhigung?«
Solveigh nickte.
Katja griff nach dem vollen Becher, den sie auf dem Beistelltisch abgestellt hatte, und trug ihn leicht humpelnd zur
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