Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
zu knurren aufgehört. »Vielleicht morgen, Rainer. Mir ist kalt. Ich will jetzt reingehen.«
»Geh nicht zu der da zurück!«, forderte er mit veränderter Stimme. »Sie ist nicht gut für dich. Sie hasst mich und will uns auseinanderbringen.«
»Das stimmt nicht. Du kennst Katja doch gar nicht richtig«, sagte Solveigh. Dass Rainer ihre Freundin nicht mochte, war ihr seit Langem klar. Aber seine Gefühle schienen weit darüber hinauszugehen.
»Ich weiß über Frauen wie sie Bescheid«, erwiderte er. »Sie verachten Männer insgeheim und können es nicht ertragen, wenn andere Frauen mit ihnen glücklich sind.«
»Glücklich?« Solveigh merkte, dass sie laut wurde. »Meinst du etwa, wenn du mir ins Gesicht schlägst, macht mich das glücklich?«
»Es war ein Reflex. Du hast mich mit siedendem Wasser verbrüht. Ich war erschrocken, und entschuldigt habe ich mich auch. Was soll ich denn tun, verdammt noch mal?«
»Du brauchst eine Therapie, Rainer.«
»Das hat sie gesagt, oder? Du würdest das nie von mir verlangen. Ich brauche keine Therapie. Ich brauche meine Frau!«
Solveigh wollte antworten, dass die Therapie ihre eigene Idee war und zu ihrer beider Besten, aber sie konnte ihn nicht anlügen. Sie fühlte sich von den Forderungen zweier Menschen hin- und hergerissen, die über weit mehr Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen verfügten als sie. »Fahr jetzt nach Hause, Rainer«, sagte sie müde. »Wir können morgen reden.« Sie drehte ihrem Ehemann den Rücken zu und ließ ihn allein auf dem Rasen im Vorgarten stehen.
Sie zögerte einen Moment, bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckte. War Rainer schon zu seinem Auto gegangen? Wenn Katja ihn auf ihrem Grundstück sah, würde sie ausrasten. In was für ein Chaos war sie hier hineingeraten?
Die Stimmung im Besprechungsraum schien eine Mischung aus gereizter Erwartung und langsam um sich greifender Ermüdung zu sein. Ein paar Kollegen, allen voran Heinz Broders, sahen zu Pia hinüber, als sie den Raum betrat, und grüßten kurz. Sie war eine der Letzten und suchte sich einen freien Platz im hinteren Teil des Raumes. Zufällig sah sie, wie Olaf Maiwald den Kopf abwandte, bevor sich ihre Blicke treffen konnten. Stattdessen zog er einen Stapel Unterlagen aus seiner Tasche und ließ sie mit einem satten Knall auf den Tisch fallen.
Horst-Egon Gabler eröffnete die Besprechung. Es folgte eine Erörterung der verschiedenen Aktivitäten des heutigen Tages, die aber allesamt keine sehr aufschlussreichen Hinweise zutage gefördert hatten. Inzwischen waren alle Angestellten der Hautarztpraxis von Simon und Feldheim befragt worden, einschließlich des Raumpflegeteams und der Mitarbeiter eines Labors, und sogar einige Patienten. Der Grundtenor war, dass Simon und Feldheim ein eingespieltes Team gewesen seien. Er war angeblich bei den Patienten beliebter gewesen, weil er über mehr Einfühlungsvermögen verfügt und sich viel Zeit für Gespräche genommen hatte. Mitarbeiter sagten, Katja Simon habe sich manchmal bei ihrem Mann über seine mangelnde Effizienz beklagt, aber seine Arbeitsweise schien dem wirtschaftlichen Erfolg der Praxis keinen Abbruch getan zu haben. Auch die Freunde und die Familie des Ermordeten lieferten keinerlei Hinweise auf ein Mordmotiv. In Timos Familie war man sich einig, dass Katja eine sehr »selbstständige und eigenwillige« Person sei, die sich aber ihrem Mann und der Praxis gegenüber stets loyal verhalten habe. Einzig Timos Bruder hatte ein paar kritische Bemerkungen über Katjas Charakter fallen lassen, doch seine Abneigung schien rein persönlicher Natur zu sein. Kein Hinweis weit und breit, dass es in der Ehe zwischen Katja und Timo Probleme gegeben hatte. Inzwischen waren auch die Filme mit den Passagieren der Priwall-Fähren, die Überwachungskameras am Sonntag aufgenommen hatten, gesichtet worden, ohne dass sich daraus ein Hinweis auf die Identität des Mörders ergeben hätte. Pia informierte die anderen über ihre Recherchen, den Suizid Tamara Kalinoffs betreffend.
»In der Bezirkskriminalinspektion in Kiel ist einiges in Bewegung gekommen, seitdem Sie da waren, Frau Korittki«, sagte Gabler. »Ich bin vorhin darüber informiert worden, dass Sven Waskamp kürzlich eine inoffizielle Anfrage an die Kollegen in Kiel gestellt hat. Er will, dass der Fall Kalinoff noch mal untersucht wird, um feststellen zu lassen, dass er nicht der Vater des ungeborenen Kindes der Toten war. Die Blutgruppenuntersuchung damals hatte ihn als
Weitere Kostenlose Bücher