Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
betrifft, kann für die Ermittlungen wichtig sein.«
»Es dauert noch eine Weile, bis ich wieder in Sokraki bin. Falls ich etwas finde, werde ich mich aber bei Ihnen melden.«
Tamara Kalinoffs Selbstmord war für Janet Domhoff eine Chance gewesen? Was hatte sie damit gemeint? Die Chance, ein »neues Leben« zu beginnen, ein Leben als Schauspielerin? Oder die Chance, sich dazu bekennen zu können, lesbisch zu sein und mit einer Frau zusammenleben zu wollen? Aber selbst wenn die Konfrontation mit dem Tod das bei Janet Domhoff bewirkt hatte – was hatte es mit dem Mord an Timo Feldheim zu tun? Oder möglicherweise mit einem Mordanschlag auf ihre damalige Freundin Katja Simon? Es ergab noch keinen Sinn, und wenn doch, war sie, Pia, zu vernagelt, es zu kapieren. Neunzig Prozent der Arbeit bestand eben darin, Möglichkeiten auszuschließen, dachte sie, als sie sich in der Rushhour über die Kreuzung nahe dem Holstentor quälte, um zurück zum Polizeihochhaus zu gelangen. Vermutlich war die These, dass Katja Simons Vergangenheit etwas mit dem Mord an ihrem Ehemann zu tun hatte oder dass gar sie selbst das vorgesehene Opfer gewesen war, schlichtweg falsch. Wenn sie wenigstens die Tatwaffe hätten! Oder ein plausibles Motiv dafür, Timo Feldheim während des Orientierungslaufs mit gezielten Schüssen ins Jenseits zu befördern! Und was war, wenn ihre Bemühungen ins Leere liefen, weil es gar kein Motiv gab? Wenn Broders’ Heckenschützen-Theorie zutraf und der Täter nur irgendjemanden hatte erschießen wollen?
Zwischen dem Termin mit Maria Barlou und der nächsten Einsatzbesprechung hatte Pia noch etwas Zeit. In ihrem Büro angekommen, gab sie den Namen Howard Unruh, den Broders im Zusammenhang mit Heckenschützen erwähnt hatte, in eine Suchmaschine im Internet ein. Sie wurde fündig:
Howard Unruh: geboren am 21. Januar 1921 in Camden, New Jersey. Er galt als tapferer Panzersoldat, der sich während des Krieges über jeden Soldaten, den er getötet hatte, genaue Aufzeichnungen machte, bis hin zu Details über die Leichen. Howard Unruh wurde 1945 ehrenhaft entlassen und zog zu seiner Mutter. Unruh dekorierte sein Schlafzimmer mit militärischen Erinnerungsstücken und richtete sich im Keller einen Schießstand ein. Er war arbeitslos, verbrachte seine Zeit zu Hause und ging jeden Tag in die Kirche. In der Nachbarschaft erregte sein Verhalten Argwohn, und man verspottete ihn als Muttersöhnchen. Am 6. September 1949 erschoss Howard Unruh dreizehn Menschen. Er zog an diesem Morgen seinen besten Anzug an und frühstückte mit seiner Mutter. Danach verließ er, mit einer Pistole bewaffnet, das Haus und hielt nach seinem ersten Opfer Ausschau. An diesem Tag traf er sechsundzwanzig Menschen, von denen er dreizehn tötete und viele schwer verletzte. Nach der Tat ging er zurück ins Haus und ergab sich später der Polizei. Er gilt als der erste Heckenschützenmörder, der seine Opfer wahllos aussuchte. Unruhs Amoklauf war einer der schlimmsten in einer Reihe von Morden und Selbstmorden von Kriegsveteranen.
Der Erste, der seine Opfer wahllos aussuchte … Pia saß einen Moment bewegungslos vor dem Bildschirm. Das war der Unruh, den Broders erwähnt hatte. Doch die Vorgehensweise zeigte kaum Übereinstimmungen mit der Tat auf dem Priwall. Sie las noch ein paar Berichte über andere Heckenschützen, aber auch hier war offensichtlich, dass der Tathergang nicht mit dem Mord an Feldheim vergleichbar war.
Und sie konnte nicht glauben, dass Broders das nicht auch bewusst war. War es eines seiner kleinen Spielchen? Zum Beispiel, weil er testen wollte, ob der Name Unruh ihr Kopfzerbrechen bereitete?
»Solveigh! Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, dass du die Fenster im Obergeschoss nicht offen stehen lassen darfst, wenn niemand oben ist.« Katja sprang die Treppe herunter und stellte sich ihrer Freundin, die sich gerade ihre Jacke anzog, in den Weg.
»Da wird ja wohl keiner hochklettern«, entgegnete Solveigh mürrisch. Sie wohnte jetzt seit drei Tagen bei Katja, und die Bevormundungen und Katjas Launen gingen ihr auf die Nerven. »Oder glaubst du, jemand turnt an der Fassade deines Hauses hoch wie Spiderman?«
»Es gibt Leitern. Außerdem habe ich dir schon mal erklärt, dass es effektiver ist, die Fenster zweimal am Tag ganz zu öffnen, anstatt sie stundenlang auf Kipp zu stellen. Das kostet nämlich nur unnütz Energie.«
Solveigh sah, wie Katja sie mit einer Mischung aus Ungeduld und Widerwillen betrachtete. Einer Freundin
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