Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
hatte sie, gelinde gesagt, überrascht.
Roxy hatte den Stock inzwischen aufgegeben. Auf dem Kinderspielplatz zu ihrer Linken schien etwas weitaus Interessanteres vor sich zu gehen. Kaninchen, vermutete Solveigh, die jetzt, in der Dämmerung, herauskamen. Es gelang ihr, die übliche Hunde-Runde abzukürzen und vor dem Bolzplatz rechts abzubiegen. Roxy hatte offenbar begriffen, dass Solveigh sie nicht von der Leine lassen würde, und ließ sich ohne Gegenwehr den rot gepflasterten Weg zurück zu den Häusern führen. Sie kamen so dicht daran vorbei, dass Solveigh die Essensgerüche riechen konnte, die durch die Dunstabzüge nach draußen befördert wurden.
Ich hätte lieber einen Altbau, dachte sie träumerisch, als sie den Weißdornweg entlangging. Wenn ich die Wahl hätte, so wie Katja, dann würde ich mir ein altes Haus kaufen. Gemütlich und mit viel Atmosphäre. Nicht so nüchtern und kühl und modern.
Als sie sich Katjas nüchterner, kühler Behausung näherte, sah sie Rainers roten Mercedes, der still unter einer Laterne stand.
18. Kapitel
W as sollte sie tun? Sie konnte nicht erkennen, ob ihr Mann im Auto saß oder ob er ausgestiegen war. Sie vermutete, dass er sich gestern Abend in Katjas Garten herumgetrieben hatte. Roxy war im gesamten Erdgeschoss herumgerannt, hatte vor den Wohnzimmerfenstern geknurrt und an der Haustür gebellt. Katja hätte beinahe die Polizei angerufen. Sie hatte Solveigh aufgefordert, ihren Mann endlich anzuzeigen und eine einstweilige Verfügung gegen ihn zu erwirken, damit er ihr in Zukunft fernblieb. Doch so weit war Solveigh noch nicht.
Ihr war unwohl bei dem Gedanken an eine Konfrontation mit ihm, und so drehte sie auf dem Absatz um und zog den verblüfften Hund hinter sich her. Von hier aus konnte man auch zum Konsulweg gehen und dann über die Lindenallee von der anderen Seite zu Katjas Haus gelangen. Doch was sollte sie tun, wenn er in zehn Minuten immer noch auf sie wartete? Warum hatte sie auf diesem Spaziergang bestanden? Sollte Katja doch ihren Hund ausführen!, dachte Solveigh, deren Arm und Schulter vom Reißen an Roxys Leine schmerzten. Immerhin: Rainer würde es nicht wagen, sie anzufassen, solange Roxy in ihrer Nähe war. Er hatte Angst vor großen Hunden, seitdem er einmal von einem Schäferhund gebissen worden war. Sie würde gleich ganz normal auf das Haus zugehen, aufschließen und eintreten. Den Wagen unter der Laterne würde sie ignorieren.
Als sie um die letzte Ecke vor Katjas Haus bog, verlangsamte Solveigh ihren Schritt. Roxy, von Wärme und dem heimischen Futternapf angelockt, strebte enthusiastisch vorwärts.
»Ruhig, Roxy«, flüsterte Solveigh. Wie menschenleer es hier war! In dem Lübecker Stadtteil, in dem sie wohnte, war um diese Uhrzeit noch was los auf den Straßen. Sie warf einen verstohlenen Blick zum Wagen: Bewegte sich im Inneren etwas? Solveigh ging weiter. Wovor hast du eigentlich Angst?, fragte sie sich. Vor deinem eigenen Mann?
Katja hatte die Außenbeleuchtung angeschaltet, die den Eingangsbereich in gleißendes Licht tauchte. Der Vorgarten lag bis auf die ins Pflaster eingelassenen Leuchtsteine in völliger Dunkelheit. Sie umschloss den Haustürschlüssel so mit den Fingern, dass der Bart des Schlüssels spitz aus ihrer Faust ragte. Eine Waffe, nur für den äußersten Notfall. Roxy, die eben noch eilig auf die Tür zugelaufen war, blieb abrupt stehen. Solveigh wollte sich gerade an dem Hundeleib vorbeischieben, als sie ein leises Knurren hörte. Es schien tief aus Roxys Kehle zu kommen, und im Gegenlicht sah es so aus, als hätte sich das Fell des Hundes aufgerichtet.
»Komm weiter«, sagte sie. Der Hund rührte sich nicht. Sie schaute zur Haustür hinüber. Nur noch wenige Meter. Und dann sah sie ihn: einen Mann, der auf dem Rasen im Schatten der großen Kiefer stand.
»Rainer?«
»Da bist du ja endlich, Solveigh.«
»Geh weg, Rainer, oder ich lass den Hund los.«
»Das wagst du nicht.«
Er kam ein paar Schritte auf sie zu, hielt aber einen gewissen Abstand zu Roxy. »Komm nach Hause«, sagte er fast schmeichelnd. »Du bist meine Frau und gehörst zu mir.«
»Ist dir überhaupt klar, was du angerichtet hast?«, stieß Solveigh hervor. Ein zugeschwollenes Auge, eine rasierte Augenbraue und vier Klammerpflaster, die ihr Gesicht verunstalteten.
»Es kommt nicht wieder vor. Komm nach Hause! Ohne dich weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich vermisse dich.« Er klang bemitleidenswert.
Solveighs Widerstand schmolz. Auch Roxy hatte
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