Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
hohe Fenster und Parkettfußboden, das kleinere war mit einem braunbeigen Teppich ausgelegt. Mit frischer Farbe an den Wänden und einem neuen Bodenbelag konnte sie sich mit einem Mal vorstellen, diese Räume ohne allzu große Verlustschmerzen gegen ihr Dachrefugium im Rohwedders Gang einzutauschen. Das Badezimmer in Hinnerks Wohnung war fensterlos und schmal. Allerdings hatte sie bisher auch mit einer nachträglich eingebauten Dusche vorliebnehmen müssen … und die Küche hier war hell, geräumig und gut ausgestattet.
Pia und Hinnerk waren vor dem Essen noch einmal die Immobilienexposés durchgegangen, die ihnen diverse Makler zugeschickt hatten, aber die angebotenen Wohnungen waren entweder zu spießig, zu abgelegen oder zu teuer, und meistens traf sogar alles auf einmal zu. Vielleicht war die ursprüngliche Idee, zusammen mit ihrem Kind in dieser Wohnung zu leben, doch die beste.
Pia ging zum Fenster und sah in den Hinterhof hinaus. In vielen der Wohnungen gegenüber brannte Licht, man konnte den Leuten teilweise direkt auf den Herd oder Esstisch blicken. Die Sicht über die Dächer Lübecks bis hinauf zum Dom würde sie vermissen, genauso wie das große Atelierfenster in ihrem Wohnzimmer. Licht zum Malen …
Seit Nele ihr den Vorschlag unterbreitet hatte, ihre Bilder in einer Galerie auszustellen, und vor allem, seit sie versucht hatte, Hinnerk für diesen Plan mit einzuspannen, hatte Pia ihre Pinsel kaum noch angerührt. Die zuletzt bespannte Leinwand war weiß geblieben. Demnächst würde sie sowieso keine Zeit mehr zum Malen haben. Und wenn sie und Hinnerk sich gemeinsam um ihr Kind kümmern wollten, dann sollten sie auch zusammen wohnen, fand Pia. Rund um Hinnerks Wohnung gab es Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Kindergärten, alles schnell zu erreichen. Und auch zur Arbeit war es nicht weit.
Unser Kind, dachte sie, und die Unsicherheit, die mit diesem Gedanken verbunden war, verstärkte ihre Übelkeit. Sie wollte gern mit offenen Karten spielen, hatte aber auch Angst davor. Ging es ihr nur darum, ihr Gewissen zu erleichtern, ohne Rücksicht auf Hinnerks Gefühle und die Interessen des Kindes? Allen ihren Berechnungen nach war er wahrscheinlich der Vater … aber eben nicht zu hundert Prozent. Verdammt!, dachte sie und lehnte ihren Kopf gegen die kalte Scheibe.
Ihre Zweifel verfolgten sie während des gemeinsamen Abendbrotes, sodass Hinnerk schließlich aufmerksam wurde und sie darauf ansprach.
»Hast du Lampenfieber?«, fragte er.
»Ein wenig«, bekannte Pia. »Ich war eben noch mal in Moritz’ Räumen. Die Idee, gemeinsam hier zu wohnen, ist vielleicht doch nicht so schlecht.«
Ein erleichtertes Lächeln flog über Hinnerks Gesicht. Pia wusste, dass ihn die erfolglose Suche genauso nervte wie sie. Er stand auf und schloss sie von hinten in die Arme. »Wirklich? Sagst du das jetzt nicht nur, weil du keine Lust mehr hast zu suchen?«
»Lust zu suchen habe ich schon lange nicht mehr. Aber ich würde das nicht sagen, wenn ich es nicht auch so meinen würde. Jetzt, wo alles leer ist, finde ich, dass man aus den beiden Räumen durchaus etwas machen kann.«
»Es muss ja auch nicht bei dieser Einteilung bleiben«, räumte Hinnerk bereitwillig ein. »Aber die Wohnung ist groß. Eigentlich ist hier Platz genug für uns. Ich weiß jedoch auch, dass du deine Dachwohnung im Gängeviertel nur ungern aufgibst.«
Das stimmte. Er fuhr ihr durchs Haar, streichelte ihren Hals. Dann fühlte sie seine warmen, großen Hände auf ihren Schultern. »Du bist ja völlig verspannt, Pia.«
»Der Fall, den wir gerade am Wickel haben, ist kompliziert. Ich weiß nicht, ob ich auf der richtigen Spur bin. Der Spur eines ehrgeizigen Politikers, der seine Karriere durch eine Jugendsünde gefährdet sieht.«
»Was hat er denn getan?«
»Angeblich hat er vor Jahren eine siebzehnjährige Heimschülerin geschwängert. Sie hat daraufhin versucht, selbst einen Abort herbeizuführen, und sich dann das Leben genommen.«
»Klingt nach einer hässlichen Geschichte«, sagte Hinnerk, »aber interessiert das heute noch jemanden?«
»Er befürchtet, dass es seine Wähler interessiert, und uns interessiert es, weil die Geschichte vielleicht mit dem Mordfall auf dem Priwall zusammenhängt.«
»Ach so.« Er fing an, mit langsamen, kreisenden Bewegungen ihre Schultern zu massieren.
Pia schloss die Augen. Sie war wirklich vollkommen verspannt. »Er will über eine nachträgliche DNA -Untersuchung feststellen lassen, dass er gar nicht der
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