Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
Asmussen, wir ermitteln in einem Fall, der sich im Februar neunzehnhundertneunundachtzig zugetragen hat. Können Sie uns sagen, wo Sie neunundachtzig gewohnt und gearbeitet haben?«
Er schien verwirrt, dass die einzige Frau im Raum ihn ansprach, und grinste verunsichert. »Das weiß ich doch nicht mehr, Lady. Die Jahre, die gewesen sind, sehen mir alle gleich aus.«
»Erinnern Sie sich daran, in Kargau gewohnt zu haben, in der Nähe der Uhlenburg?«
»Uhlenburg, das sacht mir was! Die wilden Mädchen von Kargau, wie? Gibt’s die noch?«
»Nein. Das Heim wurde Anfang der Neunzigerjahre geschlossen. Wo haben Sie in Kargau gewohnt, und womit haben Sie zu dieser Zeit Ihren Lebensunterhalt verdient?«
»Ich war bei so ’ner Klempnerfirma und hab da auch gewohnt. Der Gregorian, dem die Firma gehört hat, war schwer in Ordnung. Hat mich oben über der Werkstatt pennen lassen … War schwer in Ordnung, der.«
Pia zögerte einen Moment und trommelte mit den Fingerspitzen auf ihre Aufzeichnungen. Die Morgensonne schien durch die breite Fensterfront direkt auf ihr Gesicht und ließ ihr helles Haar aufleuchten. Broders sah, dass Asmussen jede ihrer Bewegungen genau beobachtete. »Was war das für eine Arbeit, die Sie für Herrn Gregorian erledigt haben?«
»Na, alles, wofür man Kraft braucht. Gregorian sagte immer, wenn er mich nicht hätt’. Die anderen ham’ doch alle immer nur gelinst, wann endlich Feierabend is’. Aber ich nicht. Hab geschuftet bis in die Nacht, wenn’s mal wieder pressiert hat, Lady.«
»Und was haben Sie in Ihrer Freizeit unternommen?«
Er guckte irritiert. »Nichts, wofür sich die Polizei hatt’ interessieren könn’. Geschäfte, alles völlig legal. Und mit dem Fahrrad rumgefahr’n bin ich. Tue ich heute noch. Nichts Besseres als das …«
»Und wenn Sie so herumgefahren sind, haben Sie bestimmt einiges gesehen, oder? Ich kann mir vorstellen, Ihnen entgeht nichts, wenn Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind?«
»Natürlich nicht.«
»Erzählen Sie mir von dem Erziehungsheim.«
»Ich hab auch die Mädchen aus dem Erziehungsheim ab und zu gesehen, das ist nicht verboten.« Er wirkte alarmiert, fummelte mit den Händen an den Knöpfen seiner Jacke herum.
»Kannten Sie auch einige der Mädchen mit Namen?«
»Mädchen aus dem Heim, meinen Sie?«
»Genau.«
»Hab mich immer ferngehalten von denen.«
»Warum denn das?«
»War besser so. Ich hab nur geguckt.«
»Wo haben Sie denn geguckt?«
Asmussen zupfte unruhig an einem losen Faden seiner Jacke. Pia lehnte sich zurück und wartete ab. Broders sah ihre Anspannung, war sich aber sicher, dass der Befragte zu sehr mit seinen eigenen Ängsten und Befürchtungen beschäftigt war, als dass er etwas davon mitbekommen hätte.
»Nun, ich … War alles vollkommen harmlos, Lady. Is’ so lang her … ich erinner mich kaum noch. Die Mädchen haben sich manchmal im Wagenschuppen versteckt und geraucht und Jungs getroffen auch …« Sein Gesicht rötete sich.
»Hatten Sie eines der Mädchen … besonders gern?«
»War’n alle hübsch, die Mädchen. Aber gefährlich!«
»Gefährlich?«
»Zu gefährlich … War’n doch nich’ ohne Grund da im Heim, oder? Alle haben das gesagt: Halt dich fern von die Mädchen, Wilbur, haben sie gesagt.«
»War Ihnen nicht egal, was die anderen gesagt haben?«
Pia hatte ihn vollkommen verwirrt. Asmussen schwitzte und zerrte an seiner Wollmütze. »Die war’n nich’ alle schlecht, die Mädchen. Eine hatte langes schwarzes Haar … Sie war schön. Sie hat mich mal angesehen, als ich sie getroffen hab, und auch mit mir geredet.«
»Worüber hat sie mit Ihnen geredet?«
»Weiß nicht mehr. Sie war schön.«
»Und ihr Name?«
»Weiß ich doch nich’ mehr!«
Pia stand auf und blätterte in den Papieren auf dem Tisch. Als sie gefunden hatte, was sie suchte, zögerte sie kurz.
Asmussens Blick klebte an ihren Rundungen. Sie hatte inzwischen etwas zugelegt, dachte Broders. Wurde das nicht auch langsam Zeit?
»Hier, sehen Sie mal«, sagte Pia und legte ein Foto vor Wilbur Asmussen auf den Tisch.
»Is’ sie das?«, wollte Asmussen wissen.
»Das frage ich Sie.«
»Sie ist tot, nich’ wahr?«
»Das Mädchen auf dem Foto starb im Februar neunundachtzig in der Schwimmhalle des Heims. Ihr Name war Tamara Kalinoff.«
Asmussen schob das Foto von sich weg. »Hören Sie auf damit«, jammerte er. »Ist nich’ gut, davon zu reden.«
»Warum ist es nicht gut, von Tamara Kalinoff zu reden? Sie mochten Sie
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