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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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hätten. Aber auf mehr Leute zu warten oder gar auf ein Spezialeinsatzkommando, dafür war in Hinblick auf das vermisste Kind keine Zeit. Sie suchten nach einem Hinterausgang, obwohl es natürlich durchaus denkbar war, dass Ingwers einfach eine Glasscheibe einschlagen würde, wenn er ihnen entkommen wollte. Falls er zurück zu seinem Pick-up lief, würde er allerdings der Polizei geradewegs in die Arme laufen.
    An der Rückseite der Halle fanden sie eine Tür. Sie war verschlossen. Pia meinte erneut, einen schwachen Lichtschein im Innern der Halle zu sehen. Sie hob die Hand, um die anderen zu warnen. Es waren Gerlach und der uniformierte Kollege, die gemeinsam Ingwers überwacht hatten.
    Im Gewächshaus nahe der Tür erklang ein scharrendes Geräusch. Vorsichtig tasteten sie sich rückwärts, um außer Sichtweite zu kommen. Pia duckte sich hinter einen dornigen Busch – keine Minute zu früh. Die Tür öffnete sich, und eine nur schemenhaft zu erkennende Gestalt trat vor die Glaswand. Es war ein Mann. Der Strahl einer Taschenlampe glitt über die Büsche und blendete Pia kurz. Der Mann stieß einen überraschten Laut aus und lief in die entgegengesetzte Richtung davon. Er kam nicht weit.
    Pia sprang vor, nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass Gerlach ihr folgte, und packte den Mann, noch ehe er reagieren konnte, am Arm. Aufgrund des Überraschungsmoments und seiner offensichtlich fehlenden Erfahrung mit solchen Situationen war er schnell überwältigt.
    »Was soll das?«, schimpfte er. »Hilfe! Lassen Sie mich sofort los!« Es war Rudolf Ingwers.
    Pia informierte ihn über seine vorläufige Festnahme und seine Rechte, was ihn umgehend zum Schweigen brachte. Da wurde die Tür erneut aufgestoßen, und Wohlert und die anderen Kollegen, die durch das Innere der Halle gegangen waren, kamen dazu.
    »Ihr habt ihn. Gute Arbeit.«
    »War nicht sooo schwierig«, sagte Pia. »Habt ihr das Kind gefunden?«
    »Nein. Nichts.«
    »Was wollten Sie hier, Herr Ingwers?«, fragte Gerlach.
    »Ich sag nichts mehr ohne meinen Anwalt.«
    Pia kniff die Augen zusammen. »Wo ist Zoe Seibel?«
    »Dahinten.« Zu ihrer Überraschung deutete Rudolf Ingwers mit dem Kopf ins Innere des Glashauses. »Sie sollten sich besser um sie kümmern.«
    »Was?!« Seine so plötzliche und emotionslose Aufgabe erschien Pia irgendwie befremdlich. Während sie mit den anderen durch die alte Halle eilte, konzentrierte sie sich darauf, keinen Winkel zu übersehen. Wo war das Kind? Was hatte Ingwers ihm angetan? Bitte lass Zoe am Leben sein!, dachte sie unentwegt. Lass ihr nichts passiert sein ...
    Sie durchkreuzten das leer stehende Gewächshaus, riefen nach dem Mädchen und leuchteten mit Lampen unter Blumentische, hinter verwaiste Verkaufsständer und in große Kübel. Und da sah Pia es: In der hintersten Ecke stand eine große Voliere, ähnlich der in Ingwers’ Betrieb. Sie war achteckig und hatte ein Pagodendach. Unten auf dem Boden lag ein dunkles Bündel.
    »Hierher!«, schrie Pia und spürte ihr Herz hart gegen die Rippen hämmern. Sie lief auf die Voliere zu und riss mit vor Ungeduld zitternden Fingern am Vorhängeschloss. Es war mehr ein Spielzeug, aber ohne Schlüssel half nur grobe Gewalt. Kurzerhand schob Pia den Stiel einer Harke, die ein Stück entfernt an einem Tisch lehnte, zwischen Kette und Holz und riss an der Vorrichtung, bis sie samt Schrauben aus dem Holz brach. Die Tür schwang auf. Pia beugte sich herunter. Zoe lag zusammengekauert auf der Seite. Ihr Haar war zu zwei strammen, glänzenden Zöpfen geflochten, die von kleinen Marienkäferspangen gehalten wurden. Das Kind war in eine graue Packdecke gewickelt, und als Pia es ein Stück zur Seite drehte, sah sie die Stoffpuppe, die Zoe an ihre Brust gedrückt hielt: Eine Patchwork-Puppe mit Haaren aus gelber Wolle, die ebenfalls geflochten waren.
    »Zoe«, flüsterte sie und strich ihr sanft übers Gesicht. Es fühlte sich warm und feucht an. Sie sah Tränenspuren auf den Wangen. Am Hals des Mädchens konnte sie einen schnellen, aber regelmäßigen Puls fühlen. Die Kehle wurde ihr eng, und sie musste mehrmals schlucken. Konnte es wahr sein? Das Kind schien unversehrt zu sein. »Ich glaube, sie ist betäubt worden«, sagte Pia zu den Kollegen, die mittlerweile ebenfalls eingetroffen waren. »Sie schläft ganz fest. Er hat ihr weiß Gott was eingeflößt. Wir brauchen einen Rettungswagen.«
    »Schon unterwegs«, antwortete Wohlert. »Soll ich dir helfen, sie rauszuheben?«
    »Es geht schon. Du

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