Ostseefluch
Felix ihr in ein paar Jahren so kam: »Hey, Mama, chill mal!«, wusste sie immerhin, woher er es hatte.
Arne Klaasen sah nicht glücklich aus, so eingefroren, wie er auf dem Stuhl im Besprechungsraum saß. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick, der zwischen Pia und Manfred Rist hin- und herwanderte, wirkte gequält. Horst Egon Gabler war ebenfalls anwesend, hatte aber schon angekündigt, in einer halben Stunde wegzumüssen. Er hielt sich im Hintergrund, scheinbar entspannt in die Betrachtung einiger Aufzeichnungen vertieft, doch Pia wusste, dass er jedes ihrer Worte verfolgte.
Sie hatten schon mehrmals versucht, Arne Klaasens gestrigen Tagesablauf lückenlos zu Papier zu bringen, ohne dass die Angaben, die Klaasen machte, irgendwie zufriedenstellend ausgefallen wären. Aber nicht zufriedenstellend ist ja auch zufriedenstellend, dachte Pia sarkastisch. Er hatte bestimmt einen guten Grund dafür, ihnen eine so lahme Geschichte aufzutischen.
Angeblich war er morgens zusammen mit seiner Lebensgefährtin Irma Seibel von zu Hause aufgebrochen. Er hatte die kleine Zoe in die Kita gebracht, weil Irma es eilig gehabt hatte, in ihr Geschäft zu kommen. Klaasen war um kurz nach neun in der Kita gewesen, dafür würde es Zeugen geben. Danach verlor sich jegliche Präzision. Erst hatte er behauptet, »nur so rumgefahren« zu sein, und dann, nach zähem Ringen, zugegeben, dass er schwarzgearbeitet hatte. Auf der Baustelle eines Bekannten, der sich auf Fehmarn ein Ferienhaus baute. Seiner Darstellung nach war Arne Klaasen allein dort gewesen und hatte den Keller verputzt. Dafür hatte er keine Zeugen – bis auf den frischen Putz vielleicht?, ging es Pia durch den Kopf. Irma Seibel gab ihm angeblich immer was zu essen mit, sodass er sich durchgehend auf der Baustelle hatte aufhalten können.
Die Rückfrage beim Bauherrn hatte ergeben, dass dieser nichts von Arne Klaasens Tätigkeit am gestrigen Tag gewusst hatte. Er hatte aber immerhin zugegeben, dass es tatsächlich eine Absprache gab, der zufolge Klaasen ihm ab und zu auf »rein freundschaftlicher Basis« auf seinem Bau half.
»Und gestern ging das bis abends um halb zehn?«, fragte Rist zum wiederholten Mal. »Ein langer Tag.«
»Wenn ich gewusst hätte, was zu Hause los war, wär ich natürlich eher heimgefahren«, stieß Klaasen wütend hervor.
»Haben Sie die Baustelle zwischendurch vielleicht doch mal verlassen?«, wollte Pia wissen. Knappe zwölf Stunden bei über dreißig Grad allein in einem Rohbau – diese Version erschien ihr nicht gerade glaubwürdig, selbst wenn Klaasen die ganze Zeit im Keller gearbeitet hatte.
»Jetzt fällt es mir wieder ein. Abends war ich ein Mal kurz weg, ’ne Currywurst essen«, räumte Arne Klaasen plötzlich ein.
Pia atmete langsam aus.
»Wo war das? Und wann genau?«, hakte Manfred Rist nach.
Klaasen nannte Zeit und Ort. Im Prinzip war es unerheblich, da Milena gegen zwölf Uhr ermordet worden war.
»Und davor? Am Vormittag? Wenn Sie die Baustelle ein weiteres Mal verlassen haben, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um es uns zu sagen.«
Klaasen bedachte Pia mit einem feindseligen Blick und verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl, sodass es in den Leimbindungen knarrte. Aus dem Augenwinkel sah Pia, wie Rist sich anspannte.
»Ich wünschte, ich wäre da gewesen! Verdammt, ich könnte dem Kerl den Hals umdrehen, der Milena das angetan hat!«
»Sie glauben also, es war ein Mann?«
Arne Klaasen wirkte einen Moment irritiert. »Natürlich. Also ... Ich bin einfach davon ausgegangen.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer Milena Ingwers getötet haben könnte? Hatte sie vor irgendwem oder irgendwas Angst?«
»Als sie zu uns kam, da hatte sie Schiss, ja. Aber ich dachte, das käme daher, dass sie aus der Lehre geflogen war. Ihren Eltern hat das nämlich gar nicht gefallen ...«
»Hat ihren Eltern denn gefallen, dass Milena bei Ihnen im Haus untergekommen ist?«
Er schnaubte verächtlich. »Natürlich nicht! Die können uns nicht leiden, genauso wenig wie wir sie. Aber sie haben ihr Töchterchen ja mehr oder weniger rausgeschmissen.«
»Ist es mal zu einem offenen Konflikt gekommen? Waren ihre Eltern da, oder haben sie wegen Milena mit Ihnen Kontakt aufgenommen?«
»Nee, nie. Lief alles nur hinter unserem Rücken ab. So sind diese Typen, alles mehr Schein als Sein.«
Pia trank einen Schluck Wasser. Klaasen rührte keines der ihm angebotenen Getränke an. Hinter der Reglosigkeit spürte Pia mühsam kontrollierte
Weitere Kostenlose Bücher