Ostseefluch
Wut. Auf sie, auf die Polizei allgemein, vielleicht auf Milenas Mörder?
»Gab es in letzter Zeit, sagen wir, seit Milena bei Ihnen eingezogen ist, besondere Vorkommnisse?«
»Was meinen Sie?«
»War jemand da, um Milena Ingwers zu besuchen? Hatte sie Freunde oder Freundinnen? Was hat sie den lieben langen Tag so gemacht?«
»Sie hatte kaum Freunde. Mit den Leuten, mit denen sie früher herumhing, wollte sie nichts mehr zu tun haben. Nur noch mit Patrick. Durch den ist sie überhaupt erst zu uns gekommen.«
»Hatten die beiden eine sexuelle Beziehung?«
»Ja.« Seine Augen wurden schmal.
»Und Sie? Wie war Ihr Verhältnis zu Milena?«, hakte Pia nach.
»Sie war für mich eine Mitbewohnerin«, sagte er.
»Nichts weiter?«
»Nein.« Er hielt die Arme weiterhin vor der Brust verschränkt. Die Hände hatte er unter die Oberarme geschoben. Da er nur ein T-Shirt trug, konnte Pia sehen, wie sich seine Armmuskeln anspannten.
»Aber Sie mochten sie?«, fragte sie weiter. Rist warf ihr einen warnenden Blick zu. Wahrscheinlich war er der Ansicht, Klaasen sei eine Zeitbombe mit beschädigtem Zünder. Und die geschätzten vierzig Grad im Besprechungsraum trugen auch nicht zur allgemeinen Entspannung bei.
»Nicht besonders«, stieß Klaasen leise hervor. Seine Stimme klang seltsam heiser.
»Warum nicht?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hab ich geahnt, dass sie Ärger machen würde. Vielleicht hab ich gleich gesehen, dass sie ein Schmarotzer ist und nichts zum Allgemeinwohl beitragen würde.«
Oh. Jetzt kam er zumindest ein wenig aus sich heraus. »Ärger? Inwiefern?«, fragte Manfred Rist.
»Na, Hellseher bin ich ja nicht!«
»Wir sind vorhin vom Thema abgekommen, deshalb frage ich Sie noch einmal: Gab es in der Zeit, in der Milena bei Ihnen im Haus gewohnt hat, besondere Vorkommnisse? Irgendetwas, das auf bevorstehenden Ärger schließen ließ?« Pia lehnte sich ein Stück zurück, verschränkte die Arme vor der Brust, genau wie Klaasen, und sah ihn erwartungsvoll an.
Erst schien es, als würde er nicht darauf antworten. Er hob nur die schweren Schultern und hielt Pias Blick stand. Als das Schweigen andauerte, räusperte er sich. »Direkt auf Ärger deutete nichts, nee. Und besondere Vorkommnisse? Das mit dem Wespennest vielleicht ... Aber das war einfach nur Pech«, sagte er.
Pia hob die Augenbrauen.
»Im Schornstein. Ich wollte es selbst wegmachen, doch nachdem die Biester zweimal auf mich losgegangen sind, hat Irma einen Kammerjäger gerufen.« Er nannte den Namen des Mannes und sogar seine Adresse.
»Ist der Kammerjäger während seiner Arbeit im Haus mit Milena in Kontakt gekommen?«
»Er hat getan, was zu tun war. Ob er das Mädchen getroffen hat? Keine Ahnung.«
»Fällt Ihnen noch jemand ein, der in letzter Zeit plötzlich bei Ihnen im Haus auftauchte?«
»Patrick hatte ein paar Mal zwei Kumpel da. Von der Uni, glaube ich. Ich hatte den Eindruck, dass Milena das nicht gepasst hat. Sie wollte Patrick für sich allein haben.«
Die Namen der Mitstudenten würden sie sich von Patrick Grieger geben lassen. Klaasen rührte sich immer noch nicht. Einer Eingebung folgend, nahm Pia ungefragt ein frisches Glas, füllte es mit Mineralwasser und schob es zu Arne Klaasen hinüber. »Sonst noch irgendwelche Besucher?«, fragte sie. Die klare Flüssigkeit perlte im Glas. Man konnte das Prickeln der Kohlensäure hören.
Klaasen schluckte mühsam, rührte das Wasser aber nicht an. »Da war auch noch dieser Schreiberling«, stieß er verächtlich hervor. »Er kam bei uns an und wollte uns tausend Fragen stellen. Über das Haus – die alte Geschichte halt. Er wollte ein Buch darüber schreiben. Wenn den Leuten sonst nichts mehr einfällt, dann schreiben sie ein Buch. Ist doch so, oder?«
Pia ignorierte die Bemerkung. »Hat er das genauer erläutert?«
»Weiß nicht. Die Frauen haben mit ihm gequatscht. Waren später ganz aus dem Häuschen deshalb. Von wegen Schriftsteller und so.«
»Wie hieß der Mann?«
»Weiß ich doch nicht. Aber Irma hat bestimmt noch seine Karte. Die bewahrt alles auf. Alles.« Er fixierte das Glas. Dann sah er kurz von einem zum anderen und griff danach.
Pias Blick fiel auf die Kratzer auf seinem Handrücken. »Haben Sie sich verletzt?«
»Nicht der Rede wert. Das war ein Dornenbusch bei uns im Garten.«
»Das werden wir nach der Vernehmung noch für die Akten festhalten müssen.«
Klaasen funkelte sie wütend an. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können!«
»Was hat das Haus denn für
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