Ostseefluch
jetzt kräftig geschüttelt wurde. Sie nahm ihren Sohn auf den Arm. »Es ist ein bisschen zu warm, um spazieren zu gehen.«
Nicht zu warm, um ihn mit nach oben zu nehmen und ihm die Klamotten vom Leib zu reißen. Um zusammen unter die Dusche zu springen. Es war längst nicht zu warm, um viele schöne Dinge zu tun. Die andauernde Hitze machte die Leute verrückt. Jeder, der bei der Polizei arbeitete, wusste das.
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte er und lächelte jetzt doch. »Mein neuer Kunde verlangt intensive Betreuung.«
Und ich auch, dachte Pia. Nicht nur mal eben im Vorbeigehen.
7. Kapitel
K ommt ja nicht so häufig vor, dass einem der Anblick von blauem Himmel zuwider ist, dachte Pia, als sie am nächsten Morgen die Possehlstraße hinunter in Richtung Polizeihochhaus fuhr. So richtig blau war der Himmel auch wieder nicht. Über der Stadt lag ein Dunstschleier. Und das Wasser im Kanal lag reglos da wie flüssiges Blei. Wenn sich das Wetter hielt, könnte sie am Wochenende mit Felix an die Ostsee fahren. Wenn sie nicht arbeiten musste. Und wenn Hinnerk nicht aufkreuzte ...
Sie hatte ja gar nichts gegen Sonnenschein. Im Gegenteil. Nur dagegen, dass sich in wenigen Stunden ihre Haut schon wieder klebrig anfühlen würde. Da es sich auch nachts nicht mehr richtig abkühlte, hatte Pia trotz des weit geöffneten Fensters schlecht geschlafen. Sie beneidete Fiona nicht um ihren Job, den ganzen Tag lang quengelige Kinder bespaßen zu müssen, denen die Hitze zusetzte. Und Pia hoffte, dass Fiona nicht mit dem langärmeligen T-Shirt für Felix Ernst machte, wenn sie mit ihm auf den Spielplatz ging.
Sie selbst hingegen würde die Gesellschaft ihrer Kollegen genießen, von denen der eine oder andere im Laufe des Tages bestimmt auch quengelig werden würde. Kein Wunder, keine Klimaanlage in den Büros, in den alten Pool-Fahrzeugen sowieso nicht. Im Hochhaus die kuschelig grünbraune Siebzigerjahre-Einrichtung ...
Pia trat im siebten Stock aus dem Fahrstuhl. Es war schon fast acht Uhr. Sie schnappte sich ein paar Unterlagen aus ihrem Büro, ließ vorsichtshalber schon mal die Jalousien herunter und eilte in Richtung Besprechungsraum. »Morgen zusammen«, grüßte sie die anwesenden Kollegen und sah sich nach einem Platz um, als sie von hinten angestoßen und dann, ebenfalls von hinten, umfasst und herumgewirbelt wurde.
»Pia!«
Sie zuckte und unterdrückte eine reflexartige Abwehrreaktion. Zum Glück. Ein von dunklen Locken umrahmtes Gesicht strahlte sie an. Es war eine Kollegin, die sie schon seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen hatte. Klein, drahtig, strahlend grüne Augen. Es dauerte einen Moment, bis Pia den Namen parat hatte. »Juliane? Juliane Timmermann?«
»Ich wusste, dass ich dich hier antreffen würde, Pia. Ist das nicht ein Ding?«
»Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Auf dem Lehrgang in Kiel?«
»Genau! Seitdem ist ganz schön viel passiert.«
»Bist du in der SOKO Fehmarn dabei?«
Juliane nickte. »Seit heute Morgen sozusagen.«
Es war ja schon die Rede davon gewesen, dass sie noch mehr Verstärkung bekommen würden. Aber nicht davon, dass es sich dabei um Juliane Timmermann handeln würde. Pia hätte im Leben nicht damit gerechnet, sie hier anzutreffen. Ursprünglich kam Juliane aus dem Westen, aus Heide, wenn sie sich recht erinnerte. »Wohnst du jetzt in Lübeck?«
Juliane schüttelte den Kopf. »Die letzten Jahre war ich in Neumünster. Ich werde erst mal pendeln. So schnell geht das alles leider nicht.«
Gabler und die Staatsanwältin Ilka Schneider traten ein. Alle, die noch nicht saßen, suchten sich nun einen Platz. Der Anblick der Staatsanwältin mit den knallrot gefärbten Haaren war im Polizeihochhaus nichts Ungewöhnliches. Sie war am Anfang einer Ermittlung oft bei den Besprechungen im K1 dabei, unter anderem, um die nötigen richterlichen Beschlüsse zu beantragen. Wenn sich ein Fall länger hinzog, bekam man sie im Polizeihochhaus dann nur noch selten zu sehen. Es gab aber durchaus auch Staatsanwälte, die sich grundsätzlich nicht so oft blicken ließen.
Pia zwang sich, sich auf die Besprechung zu konzentrieren, die in der Anfangsphase einer Ermittlung aus einer schier endlosen Aufzählung der bisherigen Erkenntnisse bestand. Sie selbst und Manfred Rist steuerten erste Angaben über die Obduktion bei. Der Obduktionsbericht zum Fall »Milena Ingwers« war noch nicht eingetroffen. Eine Folge der immer weiter um sich greifenden Sparmaßnahmen, die auch vor den
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