Ostseefluch
bisherigen Erkenntnissen zufolge nicht mehr mit ihren alten Freunden zusammengekommen, sondern hatte sich nur noch mit ihren Mitbewohnern, allen voran Patrick Grieger, abgegeben.
Parallel dazu hatten Broders und die neue Kollegin Juliane Timmermann einen Termin mit ehemaligen Lehrern und der Ausbilderin der jungen Frau. Gerlach und Wohlert würden sich in Rudolf Ingwers’ Gärtnerei umhören. Die anderen schoben heute Innendienst. Horst-Egon Gabler hatte die Teams neu gemischt, wohl nicht nur, um den beiden Neuen die Einarbeitung zu erleichtern, wie Pia argwöhnte.
»Unser bester Anhaltspunkt sind die Karten, die vor dem Tor zu Mordkuhlen abgelegt wurden«, sagte Pia. »Weder ihre Eltern noch die Mitbewohner konnten oder wollten uns viel über Milenas Umgang vor ihrem Einzug auf Mordkuhlen sagen.«
»Irgendwie seltsam«, meinte Rist. »Mit seinem Freundeskreis bricht man doch nicht einfach so. Man lebt sich vielleicht auseinander, wenn man älter wird. Aber war das bei Milena auch so, oder gab es einen konkreten Grund, die alten Freunde nicht mehr zu treffen? Vielleicht ist etwas zwischen ihr und ihren Freunden vorgefallen?«
Pia zuckte mit den Schultern. »Immerhin haben sie ihr nach dem Mord Karten und Blumen ans Tor gelegt.«
»Vielleicht mehr aus Sensationslust? Oder Sentimentalität?«
»Ja, schon möglich.« Sie bog in eine schmale Straße mit Reihenhäusern ein. »Bibo wohnt noch bei ihren Eltern«, sagte Pia und parkte vor Nummer fünfzehn c. »Bianca Bockelmann. Knapp neunzehn Jahre alt. Sie sollte uns erwarten.«
»Sollte?«
»Sie klang nicht ganz wach, als ich mit ihr telefoniert habe.«
Und das war sie auch immer noch nicht. Zumindest ließ der äußere Anschein das vermuten, als Pia und Rist Bianca Bockelmann ins Haus folgten. Ein schmaler Flur mündete in einen kombinierten Küchen- und Wohnbereich. Die Vorhänge waren noch zugezogen. Es roch nach alten Mahlzeiten und frischem Kaffee.
Die junge Frau raufte sich das von billiger Blondierung verfilzte Haar. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen. Die weiche graue Jogginghose und das zerknitterte Trägertop sahen so aus, als hätte sie darin geschlafen. Bianca Bockelmann blieb an den Tresen gelehnt stehen und gähnte ausgiebig. »’tschuldigung«, sagte sie. »Ist spät geworden gestern. Oder eher früh heute Morgen.«
»Wir wollen mit Ihnen über Ihre Freundin Milena Ingwers sprechen.«
»Ich weiß echt nichts darüber«, sagte sie schnell.
»Sie meinen den Mord? Bisher tragen wir nur Informationen zusammen. Sie wissen vielleicht eine Kleinigkeit und jemand anders eine weitere. Aber am Ende fügen sich die Mosaikteilchen zu einem Bild zusammen, und wir können den Täter überführen.«
»Ach, ja? Ich wünschte, ich hätte die Scheißkarte da nicht hingelegt. Ich hatte Milena schon seit Wochen nicht mehr gesehen.«
Sie ließen sich von Bianca Bockelmann schildern, woher sie Milena kannte – aus der Schulzeit – und wie ihre Beziehung zueinander gewesen war. Dieselbe Clique, eine Schulmädchenfreundschaft, die sich später, als Jungs ins Spiel gekommen waren, etwas abgekühlt hatte.
»Milena tat immer so harmlos, aber sie konnte so was von aggressiv werden, wenn sie einen bestimmten Typen haben wollte ...«
»Wen zum Beispiel?«
»Keine Ahnung. Sie hat ständig gewechselt. Ich glaube, hauptsächlich, um gegen ihr Image anzugehen. Das brave Ingwers-Töchterchen. Klavierwunderkind. Eine Streberin mit guten Noten ... bis sie so zwölf, dreizehn war. Hat sogar im Kirchenchor gesungen. Und plötzlich ... pffft ... ist sie ausgeflippt. Hat auf einmal geraucht, gesoffen, mit Jungs rumgemacht und sich ein völlig bescheuertes Tattoo stechen lassen.«
»Hatte sie Probleme mit ihren Eltern?«
»Wer hätte die nicht, an ihrer Stelle? Nach einer Klassenfahrt ist die Mutter immer mit ihr zum Hausarzt gerannt, ob mit dem Kind denn noch alles in Ordnung sei ... Und nichts durfte sie: nicht mal allein mit dem Fahrrad irgendwohin fahren! Wenn sie schlechte Noten bekam, gab es Hausarrest, aber es war ja alles zu ihrem Besten!«
»Hat Milena sich keine Hilfe gesucht? Beim Vertrauenslehrer zum Beispiel?«, fragte Rist.
Die junge Frau rollte mit den Augen. »Milena hat nicht viel darüber gequatscht. War ihr wohl peinlich, so spießige Erzeuger zu haben. Besonders die Mutter hat ja ein Rad ab ... ach, nicht nur eins. Meine Eltern sind okay. Sonst würde ich auch nicht mehr hier wohnen. Ich habe ein Studio unter dem Dach. Sie lassen mich mein Ding
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