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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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nicht wie Milenas Stimme, aber ebenso wenig nach Aleister.
    Irma hielt den Atem an. Aleister saß seltsam verdreht auf seinem Stuhl. Auch die beiden anderen Frauen sahen ihn an. Er wand sich, und etwas Schaumiges, eine rosa Masse, trat aus seinem Mund und lief sein Kinn herunter.
    »Ektoplasma«, rief die Frau rechts von ihr aufgeregt.
    »Er hat einen Anfall«, sagte Irma und stand auf. Sie musste sich zu ruckartig bewegt haben, denn der Tisch schwankte, und das Glas fiel über die Tischkante und zerbrach.
    »Nicht«, schrie die andere Frau. »Wir müssen erst den Geist verabschieden.«
    Ohne sich um den Einwand zu kümmern, ging Irma zu Aleister hinüber und packte ihn an der Schulter.
    Die Frauen murmelten: »Großer Geist, wir danken dir. Geh jetzt bitte und kehr niemals zurück ...«
    Irma sah Aleister in die Augen. Seine Pupillen schienen sehr klein zu sein, und er atmete schwer. Um irgendetwas zu tun, fasste sie an seinen Hals und suchte den Puls. Seine Haut fühlte sich heiß und feucht an, doch der Herzschlag schien ihr kräftig, wenn auch etwas zu schnell zu sein. »Helft mir, ihn hinzulegen!«, wies Irma die beiden anderen an. »Stabile Seitenlage, damit er nicht an dem Schaumzeug erstickt ... Einen weiteren Todesfall können wir hier wirklich nicht gebrauchen.« Ihr bestimmter Tonfall erfüllte seinen Zweck. Zu dritt packten sie Aleister und ließen ihn zu Boden gleiten.
    Er blinzelte und fing an zu husten. »Wo bin ich?«, fragte er und fasste sich in einer theatralischen Geste an die Stirn. Obwohl Irma eben noch überzeugt davon gewesen war, dass er ein gesundheitliches Problem hatte, so war sie sich jetzt sicher, dass er ihr etwas vorspielte. Laientheater.
    »Oh, Aleister!«, schluchzte eine der Frauen.
    Irma rollte genervt mit den Augen und verließ den Raum.

11. Kapitel
    J udith trieb den Spaten ins Erdreich. Die Erde war hier, im Schatten der Tannen, steinhart gebacken. Rudolf hatte sie damals als Sicht- und Windschutz gepflanzt, und nun waren die Nadelbäume vier bis fünf Meter hoch, die Stämme nackt und kahl. Darunter wuchs nicht mehr viel. Es war der ideale Platz, weil man sie von der Straße aus nicht graben sehen konnte. Und vom Nachbargrundstück aus auch nicht. Judith stieß wieder in das Loch, das kaum fünfzig mal fünfzig Zentimeter groß war und höchstens vierzig Zentimeter tief. Das Metall des Spatens traf klirrend auf einen Stein, und ein Ruck fuhr schmerzhaft durch ihre Handgelenke. Nicht schon wieder! Hier hatte mal jemand seinen Bauschutt entsorgt. Die Arme taten Judith weh, und ihr dröhnte der Kopf. Wozu hatte sie einen Mann, wenn nicht wenigstens dafür, dass er das hier für sie erledigte? Aber wie dem auch sei, es musste verschwinden. Der Gestank war nicht mehr auszuhalten.
    Die Hunde würden traurig sein. Sie musste so tief graben, dass sie es nicht wieder ausbuddeln konnten. Judith sah sich schon mit einer Nachbarin auf der Terrasse Kaffee trinken, und einer der Hunde legte schwanzwedelnd einen Beckenknochen oder gar den Schädel vor ihren Füßen ab ...
    Sie hieb das Spatenblatt seitlich neben dem Geröllbrocken ins Erdreich und versuchte, ihn herauszuarbeiten, wie ein Archäologe eine antike Scherbe. Ich habe keinen Pinsel dabei, dachte sie spöttisch, aber wie wäre es mit ihrem Puderquast oder, besser noch, Rudolfs Echthaar-Rasierpinsel? Wenn sie es weiter hinten nahe dem Kompost versucht hätte, wäre es einfacher gewesen ... Aber da lag ja schon was. Sie hatte wirklich keine Lust, auf Charlies sterbliche Überreste zu stoßen!
    Endlich lockerte sich der Stein. Judith kniete sich neben das Loch und zog ihn stöhnend heraus. Schweißtropfen kitzelten auf ihrer Stirn, auch jetzt noch, abends um halb zehn ... Kühlte es sich denn überhaupt nicht mehr ab? Sie erstarrte, als die Hunde anschlugen. Kam Rudolf schon zurück? Normalerweise erkannten sie ihn und blieben still, wenn er vorfuhr und zum Haus hinüberging. Aber wer sollte um diese Uhrzeit sonst das Grundstück betreten? Judith hatte kein Auto gehört. Das war schon seltsam. Sie griff nach dem Spatenstiel und wollte gerade ächzend auf die Füße kommen, als sie leise Schritte hinter sich hörte. Verdammt.
    Judith saß wie erstarrt da. Lauschte. Spürte ihr Herz einen Trommelwirbel schlagen. Auch Milena hatte wehrlos am Boden gehockt, als der tödliche Hieb sie getroffen hatte. Und nun saß sie hier, unfähig, sich zu rühren. Sie schluckte, drehte den Kopf und schaffte es, ein schwaches »Ist da jemand?«

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