Ostseefluch
Bevölkerung über den massiven Einsatz gesundheitsgefährdender Pestizide in der Landwirtschaft und im Gartenbau aufzuklären.«
»Wie genau dürfen wir uns das vorstellen?«, fragte Rist. Broders griff nach einem der herumliegenden Faltblätter und sah es sich an.
»Wir verfassen Infomaterial, Sie dürfen sich gern was davon mitnehmen, und wir haben eine Homepage zu diesem Thema. Nur so als Beispiel.«
»Wie sind Sie an diese Organisation gekommen?«
»Ich bin ein Gründungsmitglied. Es fing mit einer Hausarbeit zum Thema ›Pestizide‹ an. Ich habe bei meinen Recherchen festgestellt, das alles noch viel weiter reichend und schlimmer ist, als ich es mir in meinen ärgsten Albträumen vorgestellt hatte.«
»Wie gut kennen Sie Patrick Grieger?«, schaltete Broders sich ein.
Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde. Ihre Augen wurden groß und rund. »Wir arbeiten hier zusammen. Ich bewundere sein Engagement. Aber ansonsten ...« Martha Arendt hob die schmalen Schultern.
»Wer kann uns denn hier mehr über ihn sagen, Frau Arendt?«
Sie lächelte spöttisch. »Keine Ahnung. Aber wir sind nicht so viele. Wenn es gut läuft, sieben bis neun Leute.«
»Auf den ersten Blick sieht es nach einer größeren Gruppe aus.«
»Wir bewegen auch eine Menge.«
»Hat Ihre Organisation etwas mit der Gärtnerei Ingwers zu tun?« Heinz Broders musterte sie aufmerksam.
»Ingwers, Ingwers ... Sagt mir nichts.« Sie lehnte sich an einen der Schreibtische und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Haar schimmerte im Gegenlicht wie das Fell eines kleinen Tieres.
»Womit ist Patrick Grieger hier hauptsächlich beschäftigt?«
»Das müssen Sie ihn schon selbst fragen.«
»Bei sieben bis neun Leuten wird der eine vom anderen doch noch wissen, was er tut.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Entschuldigen Sie vielmals, aber ich hab Sie hier hereingelassen und Ihnen alles gesagt, was ich für richtig halte. Wenn Sie mehr brauchen, müssen Sie das nächste Mal schon einen Durchsuchungsbefehl mitbringen.«
»Ein richterlicher Beschluss wird kein Problem sein«, sagte Broders.
Martha Arendt zeigte sich unbeeindruckt. »Weil es um einen Mordfall geht? Damit haben wir bei Pomona nichts zu tun. Die Pestizide töten. Wir nicht.«
Das Haus war leer. Irma hatte fast vergessen gehabt, wie es sich anfühlte, ein vollkommen ruhiges Haus zu betreten. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, hatte sie zynisch gedacht. Diese Viecher verfolgten sie. Patrick war in den letzten Tagen kaum noch zu Hause anzutreffen gewesen, und er redete auch nicht mehr mit ihr. Vielleicht war er schon wieder in Lübeck bei der Polizei. Sie drehten ihn ganz schön durch die Mangel. Unter normalen Umständen hätte Irma sich darüber aufgeregt, aber so, wie die Dinge lagen, war sie einfach nur froh, dass nicht sie oder Arne in die Schusslinie geraten waren.
Arne ... Er würde nach eigenen Angaben den ganzen Tag auf irgendeiner Baustelle beschäftigt sein. Nicht auf ihrer eigenen, natürlich nicht. »Du musst nicht mit dem Abendbrot auf mich warten«, hatte er ihr beim Abschied zugerufen. Was das hieß, war klar. Er legte die größtmögliche Distanz zwischen sich und Mordkuhlen.
Sie, Irma, war diejenige, die nicht weglaufen konnte. Sie hatte gerade ein müdes, aufgedrehtes Kind aus der Kita abgeholt und musste nun zu Hause bleiben, bis der Kammerjäger kam. Doch das Alleinsein, selbst mit Zoe, war ihr unangenehm. Sobald sie einen Moment die Gedanken schweifen ließ, sah sie Milena vor sich. Ob in der Küche, wo sie sich mit den ihr eigenen fahrigen Bewegungen und den hochgezogenen Schultern ein Brot schmierte, ob halb nackt auf der Treppe sitzend oder im Wohnzimmer vor dem Fernseher liegend, eine Tüte Chips in Griffweite ...
Im Haus war es zwar kühler als draußen, trotzdem war Irma erleichtert gewesen, dass Zoe ihren Vorschlag, in den Garten zu gehen, mit Begeisterung aufgenommen hatte. Nun spielte die Kleine im Planschbecken unter dem Apfelbaum. Irma sah von ihrem Liegestuhl aus zu, wie Zoe Wasser durch einen Trichter in diverse Plastikgefäße laufen ließ. Ihre Tochter trug einen lächerlichen kleinen Bikini mit Rüschen. Zoe hatte das Teil in ihrem Laden entdeckt und so lange gequengelt, bis sie es bekommen hatte.
Das Haus, der sonnige Garten, die Zufahrt zum Grundstück – alles lag ruhig da, aber nicht friedlich. Frieden war etwas anderes. Irmas Herz pochte, und sie zuckte bei jedem Geräusch zusammen. Das Strickzeug, das sie mit nach draußen
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