Ostseefluch
Küchenschabe auf dem Dach.
Irma schickte Zoe hoch in ihr Zimmer und öffnete die Haustür.
Unbekümmert streckte der Mann ihr die Hand entgegen und stiefelte ins Haus. Hauke Andersen. Er trug einen Lederkoffer mit sich, wie ihn auch Klempner oder andere Handwerker bei sich hatten. Andersen war mittelgroß, recht mager und hatte feines sandfarbenes Haar. Im Dämmerlicht des Flurs fiel Irma sein scharf geschnittenes Profil und das leicht fliehende Kinn auf. Er schien nicht viel älter als Patrick zu sein. Seine Augen schimmerten gelbgrün, als er sich neugierig umsah. Wie die einer Katze, dachte Irma. Hauke Andersen entsprach so gar nicht der Vorstellung, die Irma sich von einem Kammerjäger gemacht hatte. Was hatte sie denn gedacht? Dass er gröber, irgendwie handfester aussähe? Nein, aber wie jemand, der spielend mit Schädlingen aller Art fertigwurde, eben. Statt einer Arbeitshose trug Andersen Jeans und ein gestreiftes Hemd.
»Sie waren doch neulich schon mal hier, wegen des Wespennestes. Jetzt haben wir Ratten im Haus! Mein Partner hat zwar schon versucht, sie loszuwerden, aber es ist seither nicht besser, sondern schlimmer geworden. Die Viecher sind nun schon in unserer Küche!«, sagte Irma.
»Und da wollen Sie sie so gar nicht haben«, meinte der Kammerjäger grinsend. »Verständlicherweise.«
Was gab es denn da zu feixen? Er ging an ihr vorbei in die Küche. Ohne zu fragen, riss Andersen den Spülenunterschrank auf und leuchtete mit einer Taschenlampe hinein. »Ah.«
»Was ist?«
»Sehen Sie die dunkelbraunen Dinger hier. Das ist Kot. Höchstwahrscheinlich von Rattus rattus .«
»Sie dürfen ruhig Deutsch mit mir sprechen.«
» Rattus rattus – auch ›Hausratte‹ genannt. Kann äußerst lästig werden. Normalerweise hat man mit denen eher im Winter Probleme. Nun ja. Das krieg ich schon in den Griff.«
»Das will ich doch sehr hoffen!«
»Sie dürfen keine Lebensmittel mehr offen herumliegen lassen. Und ich muss herausfinden, wo genau sich die Tiere einen Zugang zum Haus verschafft haben. Ich werde mich jetzt ein wenig umsehen.«
»Bitte.« Irma ließ sich auf einen Stuhl fallen und beobachtete den Mann misstrauisch. Er untersuchte die Küche und leuchtete, ohne eine Miene zu verziehen, in jeden Schrank und jede Ecke. Irgendwann fing er leise an zu pfeifen.
»Können Sie bitte damit aufhören?«, fragte Irma gereizt.
»Womit?«
»Mit den Geräuschen.«
Er richtete seine grüngelben Augen auf sie. »Dann schau ich mir mal das übrige Haus an.«
Irma blieb am Küchentisch sitzen. Sie fühlte sich schwach. Eigentlich sollte sie mitgehen und ihm auf die Finger sehen. Aber im Grunde ... zu stehlen gab es hier eh nichts. Und Rumspionieren lohnte sich auch nicht. Er tat ja nur seinen Job. Rattus rattus – das Grauen hatte einen lateinischen Namen.
Sie hörte ihn im Flur auf und ab gehen, dann nebenan im Wohnraum. Schleifende Geräusche waren zu hören. Er schien die wuchtigen Möbel hin und her zu rücken. Nun reichte es Irma langsam. Sie stemmte sich hoch.
»Muss das sein?«, fragte sie und streckte den Kopf zur Wohnzimmertür hinein.
Andersen kauerte vor dem alten Buffet-Schrank. Er hatte die unteren Türen geöffnet. Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu. Er schloss die Schranktüren demonstrativ und drehte die Schlüssel. »Tolle alte Möbel«, sagte er. »Sind die von Ihnen, oder standen die schon immer hier?«
»Haben Sie ein Rattennest darin gefunden?«
»Nein. Ehrlich gesagt, habe ich nur den Schrank bewundert. Das Wohnzimmer ist sauber. Wie sieht es mit dem Keller aus? Meist kommen sie von dort oder über den Dachboden.«
»Es gibt keinen Keller«, antwortete Irma.
»Was? In so einem alten Haus? Unter der Treppe neben der Abseite ist doch eine Tür. Führt die nicht zur Kellertreppe?« Er starrte sie wieder mit seinen Katzenaugen an.
»Der Keller wurde zugeschüttet, bevor wir hier eingezogen sind«, sagte Irma. »Er soll zu feucht gewesen sein.«
»Zugeschüttet.« Andersen wirkte irritiert. »Sind Sie sicher? Dann kommen die Ratten wahrscheinlich von oben.«
»Wollen Sie dort auch nachsehen gehen?« Sie würde ihn nicht allein in Zoes Nähe lassen.
»Das wird nicht nötig sein. Ich werde jetzt ein paar Köderkisten aufstellen. Fassen Sie die nicht an. In fünf Tagen komme ich wieder und sehe nach, ob wir Erfolg damit haben.«
»Ist da Gift drin? Ich habe ein kleines Kind im Haus.«
»Deswegen die Kisten. Keine Gefahr für Kinder, Katzen oder Hunde. In der Zwischenzeit
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