Ostseefluch
sollten Sie zusehen, dass Sie das Dach dicht bekommen. Und wirklich keine Lebensmittel offen herumliegen lassen.«
»Das habe ich verstanden«, sagte Irma.
Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, doch seine Augen fixierten sie neugierig. »Wohnen Sie eigentlich schon lange hier?«
»Ist das wichtig, ich meine, wegen der Rattenplage?«
Er schüttelte den Kopf, ohne dabei den Augenkontakt aufzugeben. »Nichts für ungut. Ich hole dann mal mein Zeug aus dem Wagen. Ach, ja. Zahlen Sie selbst, oder soll ich Ihrem Vermieter eine Rechnung schicken?«
18. Kapitel
A m Donnerstagmorgen klingelte Pias Wecker um fünf Uhr. In der ersten Sekunde war sie orientierungslos. Das nervtötende Geräusch hatte sie aus einem sehr netten Traum gerissen. Sie war sich nicht ganz sicher, ob Lars darin vorgekommen war.
Pia stellte den Alarm ab, wohl wissend, dass der Radau in acht Minuten wieder losgehen würde, und blinzelte. Durch das gekippte Dachfenster über ihrem Kopf fiel graues Licht ins Zimmer. Mit etwas Fantasie fühlte sich der schwache Luftzug, der ihre warme Haut streifte, kühl an. Von draußen, aus dem Gang und den umliegenden Häusern, war kein Geräusch zu hören. Dieser Teil der Stadt lag noch im Tiefschlaf. Sie könnte den Wecker ganz ausstellen, sich umdrehen und versuchen, irgendwie Anschluss an ihren Traum zu finden, so, als würden bei einer Serie zwei Teile hintereinander gezeigt. Aber sie hatte den Wecker nicht ohne Grund auf diese Uhrzeit gestellt. Die Durchsuchung der Büroräume der Umweltorganisation Pomona , für die Patrick Grieger neben seinem Studium arbeitete, war für acht Uhr angesetzt.
Als sie Felix um halb sieben bei Fiona abgab, trug diese noch einen Bademantel und war ungekämmt. Pia spürte den Anflug eines schlechten Gewissens, so früh zu stören, aber sie hatte es am Vortag mit der Tagesmutter abgesprochen. Zum Glück war sie in letzter Zeit nur noch selten bei Hausdurchsuchungen dabei, denn solche Aktionen fanden oft am frühen Morgen statt.
Als sie den Wagen startete, um zum Polizeihochhaus zu fahren, musste sie so herzhaft gähnen, dass ihr Tränen in die Augen traten. Die Woche war einerseits anstrengend, andererseits wenig ereignisreich verlaufen. Am Wochenende würde sie endlich mal wieder ausschlafen können. Hinnerk hatte am Vorabend bei ihr angerufen und ihr mitgeteilt, dass er gerade in Lübeck angekommen sei. Ihr Exfreund, Felix’ Vater, studierte Medizin in Ungarn, weil er in Deutschland keinen Studienplatz bekommen hatte. Er wollte übers Wochenende etwas mit seinem Sohn unternehmen.
Seltsam, wie oft er in letzter Zeit in Lübeck auftaucht!, überlegte Pia. Das Studium kostete doch sicherlich viel Zeit, und die Flüge mussten ja irgendwie finanziert werden. Hinnerks neue Freundin und Mitstudentin, Mascha, besaß eine Wohnung in Lübeck, das hatte Pia inzwischen herausgefunden. Nun kam er übermorgen und wollte Felix für sich.
Das war ja einerseits auch ganz schön. Felix sollte nicht ohne Vater aufwachsen. Aber Pia war sich nicht sicher, ob Hinnerk nur so kurzfristig plante oder ob er ihr seine Pläne absichtlich immer erst im letzten Moment mitteilte. Vielleicht machte es ihm Spaß, ihr mit seinen spontanen Aktionen in die Parade zu fahren. Sie hatten sich nicht gerade im Guten getrennt. Dazu hatten sie sich gegenseitig wohl zu sehr verletzt. Doch da Pia sich fest vorgenommen hatte, dass Felix nicht unter ihren Konflikten mit Hinnerk leiden sollte, hatte sie zähneknirschend zugestimmt, dass er ihn am Samstag gegen zehn Uhr abholen könne. Eigentlich hatte sie mit Felix, Susanne und ihrem Sohn Lennart an den Strand fahren wollen – der Ausflug war seit Längerem geplant und immer wieder verschoben worden. Allein, ohne Felix, wusste Pia nicht, was sie dort sollte. Nun dehnte sich das Wochenende vor ihrem geistigen Auge aus wie die Wüste Gobi. Im Zweifelsfall kann ich ja immer noch arbeiten, sagte sie sich, als sie auf das Parkdeck des Polizeihochhauses abbog. Genug zu tun gab es in jedem Fall.
»Sind wir denn genügend Leute, damit die Durchsuchung nicht so ewig dauert?«, fragte Pia ihren Kollegen Gerlach, als sie auf dem Weg nach Kiel waren.
»Es geht gerade so«, meinte er. »Ein paar von uns kommen direkt dorthin. Und Broders hat sich abgesetzt, Juliane, glaube ich, auch.«
»Wieso das denn?«
»Sie fahren heute Vormittag nach Fehmarn zu Maren Rosinski. Broders will die gute Frau noch einmal etwas ausführlicher zu Mordkuhlen befragen. Sie soll sich inzwischen von
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