Ostseefluch
dem Schlag auf den Kopf erholt haben.«
»Das letzte Mal war ich zusammen mit Broders bei der Rosinski. Warum fährt dieses Mal Juliane mit?« Pia versuchte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. Die Frage war berechtigt. Es war nicht gut, wenn ständig neue Kriminalbeamte bei einem Zeugen auftauchten. Aufgrund der Tatsache, dass sie möglichst pünktlich Feierabend machen musste, entging ihr viel von dem, was im Kommissariat an Organisatorischem abgesprochen wurde. Auch was Zwischenmenschliches anging, verpasste sie vermutlich in letzter Zeit das eine oder andere.
Gerlach warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Du kannst dich nun mal nicht zweiteilen, Pia. Immerhin hast du die Vernehmung von Patrick Grieger durchgeführt. Und das Ergebnis dieser Befragung war doch überhaupt erst der Anlass dafür, seine Aktivitäten in Kiel genauer unter die Lupe zu nehmen.«
»Zusammen mit Juliane. Und Broders war zuletzt in Kiel. Er sollte heute dabei sein.« Sie schüttelte unzufrieden den Kopf.
»Manfred Rist ist auch mit bei diesen Umweltfritzen gewesen. Er fährt übrigens in dem Wagen hinter uns.«
»Da bin ich ja beruhigt.« Pia sah, von zwiespältigen Gefühlen bedrängt, aus dem Fenster. Sie fuhren nun mitten im Berufsverkehr in einer Kolonne von Fahrzeugen die B 404 herunter. Links vor ihnen tauchte der fast zweihundertdreißig Meter hohe Kieler Fernsehturm im Morgennebel auf.
Martha Arendt, die schon mit Broders und Rist gesprochen hatte, öffnete ihnen die Tür. »Das ist jetzt ein schlechter Witz, oder?« Sie musterte den Durchsuchungsbeschluss. »Sie sind hier an der falschen Adresse.«
»Steht Pomona drauf oder nicht?«, fragte Manfred Rist.
»Wissen Sie überhaupt, was der Name bedeutet?«
»Sie werden es mir bestimmt gleich sagen.«
»Warum sollte ich? Sie verschwenden hier nur Ihre Zeit und unsere Steuergelder.«
»Das wird sich zeigen.« Manfred Rists Miene war eisig.
Martha Arendt zuckte mit den Schultern und verschwand dann, »um frühstücken zu gehen«, wie sie sagte. Sie hinterließ ihre Handynummer bei Rist, damit er sie nach Beendigung der Aktion anrufen konnte. Eine Frau vom Ordnungsamt fungierte als neutrale Zeugin. Sie nahm ihre Aufgabe sehr ernst und sah den Polizisten, so gut es ging, bei ihrer Arbeit über die Schulter. Gerlach hätte sie beinahe gerammt, als er einen Umzugskarton voll mit Broschüren und Aktenordnern nach unten schleppen wollte.
»Vierter Stock und dreißig Grad im Schatten! Jetzt weiß ich, warum Broders nicht mitgekommen ist«, stöhnte er, als er wieder oben war.
»Habt ihr schon irgendwas entdeckt, das mit der Gärtnerei Ingwers zu tun hat?«, fragte Pia in die Runde, als alle wieder im Büro der Organisation versammelt waren. Sie fühlte sich verschwitzt und mittlerweile auch frustriert, weil die Aktion bisher rein gar nichts zutage gefördert hatte. Gut, das Material musste noch genau gesichtet werden, aber auf den ersten Blick – Fehlanzeige.
»Es gibt zwei dicke Ordner mit Presseartikeln. Vielleicht befindet sich darunter Aufschlussreiches«, sagte Rist. »Ist hier sonst noch irgendwo etwas, das mitmuss?«
Pia schüttelte den Kopf. »Ich denke, nein. Du kannst Frau Arendt schon mal anrufen. Wir verschwinden hier gleich wieder.«
Maren Rosinski zuckte zusammen, als sie mit der Bürste über die Stelle am Hinterkopf strich, an der sie genäht worden war. Die Platzwunde war mit nur vier Stichen mit einem sich selbst auflösenden Faden versorgt worden, aber ihr reichte es. Zum Glück hatten sie ihr im Krankenhaus nicht viel von ihren Haaren entfernt. Eine kahle Stelle auf dem Kopf, das hätte ihr gerade noch gefehlt! Ihre Erinnerung an jenen Abend im Garten war nur bruchstückhaft. Inzwischen neigte Maren zu der Überzeugung, dass sie gestürzt sein musste, egal, was die Polizei ihr weismachen wollte. Wenn sie ernsthaft angegriffen worden wäre, dann hätte sie so geendet wie Milena, oder etwa nicht? Aber es bestand kein Grund dafür, dass ihr jemand etwas antun wollte. Allein die Vorstellung war lächerlich. Sie lebte hier in Frieden mit jedermann. Einzig Judith, die Kirchenmaus ... Doch die würde niemals ...
Maren versuchte, die nutzlosen Grübeleien abzuschütteln, und konzentrierte sich stattdessen auf ihr Spiegelbild. Ohne sich dessen bewusst zu sein, korrigierte sie ihre Mimik, zog die Mundwinkel ein Stück nach oben, lächelte breiter. Die helle Beleuchtung, wie in einer Künstlergarderobe, schien ihr heute besonders erbarmungslos zu sein.
Wir
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