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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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om Küchenfenster aus beobachtete Irma, wie die Frau langsamen Schrittes durch ihren Gemüsegarten ging. Oder durch das, was davon übrig war, nachdem die ungewöhnliche Hitze und ein Spurensicherungsteam der Polizei das Areal verwüstet hatten. Obwohl sie die Frau nur von hinten sah, in einem formlosen, geblümten Kleid und mit dem strammen kleinen Knoten mausbraunen Haares im Nacken, wusste Irma, wer das war: Judith Ingwers, Milenas Mutter.
    Was wollte sie hier? Jetzt ließ sie sich auch noch auf die Knie fallen und blieb so da hocken! Was soll ich tun?, überlegte Irma. Sie ignorieren? Hinausgehen und ihr mein Beileid aussprechen? Im Ort erzählte man sich, Milenas Mutter sei ein bisschen anders. Nicht, dass Irma viel auf das Gerede ihrer Mitmenschen gab, aber in diesem Fall konnte das nur bedeuten, dass Judith Ingwers tatsächlich ziemlich neben der Spur sein musste. Schließlich war sie die Frau von Rudolf Ingwers, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr und des Gemeinderates, ehemaliger Schützenkönig und überhaupt. Wie verrückt musste man sein, um als Frau im Schutz dieses Mannes so einen üblen Leumund zu haben?
    Milena hatte so gut wie gar nicht über ihre Eltern gesprochen. Sie wohnten im selben Ort. Sie verstand sich nicht mit ihnen. Basta. Und nun tauchte Judith Ingwers hier auf und forderte mit ihrem Benehmen Aufmerksamkeit.
    Dabei konnte Irma sowieso kaum noch an etwas anderes denken. Wie auch? Hier war ein Mord geschehen, und sie wussten nicht, wer es getan hatte. Es konnte jeder von ihnen gewesen sein. Vielleicht beherbergte sie einen Mörder unter ihrem Dach! Die Zweifel fraßen sich in Irmas Bewusstsein wie eine ätzende Säure. Gestern Abend hatte sie sich dabei ertappt, dass sie vor Arnes Umarmung zurückgewichen war, weil sie plötzlich gedacht hatte, dass er mit diesen kräftigen Armen, die sie doch eigentlich vergötterte, Milena erschlagen haben könnte. Und sie hasste es, wie Patrick neuerdings im Haus herumschlich. Es konnte ja sein, dass er Milena vermisste und sich ähnliche Gedanken machte wie sie. Aber ebenso gut war es möglich, dass er seine Freundin umgebracht hatte und sich nun davor fürchtete, dass die Polizei ihm auf die Schliche kam. Sie konnte sich einfach nicht sicher sein.
    Irma stellte das benutzte Geschirr neben die Spüle und schaltete den Boiler ein. Zoe saß am Tisch und knetete. Vor ein paar Tagen hatte Irma aus Mehl, Salz, Alaunpulver und Öl Knete hergestellt und sie mit Lebensmittelfarbe gelb, rot und blau eingefärbt. Inzwischen knetete Zoe eine braungrüne Masse und formte daraus seltsame Wesen mit großen Köpfen und ohne Beine. Sie steckte Streichhölzer als Stacheln in die Leiber, klebte ihnen Haare aus Wollresten an und drückte Glasmurmeln als übergroße Augen hinein. Zoe war so versunken in ihr Tun, dass ihre rosa Zunge zwischen den Lippen herausschaute. Irma sah noch mal zum Fenster hinaus.
    Milenas Mutter schaute nun zum Haus herüber. Ihr Gesichtsausdruck veranlasste Irma, erschrocken zurückzuweichen. Aber sie wollte nicht weichen. Dieses Haus war immer noch ihr Zuhause! »Ich geh mal eben in den Garten, Schatz. Warte du hier!«, sagte sie zu ihrer Tochter. Der Abwasch lief ihr ja nicht weg.
    Sie trat aus der Küchentür und kniff die Augen vor der gleißenden Sonne zusammen. Judith Ingwers war noch immer da. Natürlich. Dieser Tage löste sich kein Problem von allein in Luft auf. Als Irma wieder etwas mehr sehen konnte, ging sie entschlossen auf das Gemüsegärtchen zu. Judith Ingwers kniete nach wie vor im Dreck, genau an der Stelle, an der Milena gelegen hatte. Sie hielt den Kopf gesenkt und die Hände vor der Brust gefaltet wie die Jungfrau Maria vor der Krippe ... Und seltsamerweise reagierte sie überhaupt nicht, als Irma näher trat und sich schließlich räusperte.
    »Es tut mir sehr leid, was mit Ihrer Tochter passiert ist«, sagte Irma. »Sie sind Judith Ingwers, nicht wahr?«
    Die Frau sah zu ihr auf, die Hände immer noch vor der Brust gefaltet. Ihr Gesichtsausdruck war leer und verursachte Irma ein komisches Gefühl im Magen. »Sie wohnen wohl hier?«, fragte Judith Ingwers mit leiser Stimme.
    »Ja. Ich bin Irma Seibel. Angenehm.« Was für eine dumme Floskel. Die Situation war ihr mehr als unangenehm. Sogar unheimlich. Sie wollte, dass diese Frau wieder ging. Sofort. Irmas Blick fiel auf einen welken Salatkopf, den Judith Ingwers unter ihrem Knie zerquetschte. Nicht, dass ich je wieder etwas werde essen können, das in diesen Beeten wächst,

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