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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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ist, beschließt, das letzte Krümelchen Kakao aufzubrühen, mit dem letzten Tropfen Sahne, damit ihr, so denkt die Frau, noch ein wenig warm werde, bevor sie Hungers sterben muß. Sahne und Kakao fließen also in Strömen, die Frau eröffnet ein Café und wird reich. Die geizige, reiche Frau jedoch, die von dem vermeintlich gerissenen Handel der ersten gehört hat, lädt ihrerseits den kleinen Mann ein, bewirtet ihn und bekommt, wie die erste Frau, eine Belohnung versprochen. Bevor sie allerdings dazu kommt, eine gute Flasche Roten zu öffnen, muß sie noch einmal geschwind zur Toilette...
    »Ha-ha, unn da versuppt die blöde Trine inner eigenen Pisse!« beendete Weber die haarsträubende Geschichte und schlug sich vor Lachen auf die Schenkel.
    »Und was hat nun unser Dichter damit zu tun?« fragte Anne, der solche Anekdoten nicht behagten.
    »Der Ladestein, dieser Verrückte«, so mischte sich eine andere Frau ein, »der wollte daraus ein musikalisches Kinderstück machen. Stellt euch das mal vor! Mit Rasseln und Klingeln und natürlich echtem, rinnendem Wasser, wenn die Frau pinkelt...«
    Ein Stück übers Pinkeln mit Orffschen Instrumenten?! Das war wirklich die Höhe. War es dem Mann zu ruhig und zu friedlich in seiner Sommerfrische? Schon möglich. Es paßte zu Ladestein, daß er ein unbefangenes Verhältnis zu allem hatte, was irgendwie mit dem menschlichen Körper,
ja mit Elementarem und Lebendigem zu tun hatte. Glaubhaft hatten Dorfbewohner berichtet, daß Ladestein öfter im größten Kuhstall in Nebel beim Ausmisten und Füttern half. Er müsse sich in Schwung bringen, soll er bei solchen Gelegenheiten gesagt haben. Während andere aufwendige Freiluftübungen exerzierten und alberne bunte Holzkeulen schwangen, faßte er lieber ein bißchen mit an. Seinem Verleger hatte er geschrieben, mit wieviel Spaß er Nachtwachen übernahm, wenn eine Kuh kalben sollte. Dann wieder kehrte Ladestein den Bonvivant aus der Großstadt heraus, der behauptete, die einzig akzeptable Mischung eines berüchtigten Drinks zu kennen, und der es auch fertigbrachte, sämtliche Besucher eines Lokals auf eben dieses Getränk einzuladen, einmal und noch einmal, bis der ganze Saal tobte und sang und stapfte und tanzte... Das schrieb er dann auch nach Berlin - kleinlaut, wenn der Rausch ausgeschlafen war und er wieder dringend »einen Wechsel« brauchte.
    Sie kramten in Mariannes Unterlagen.
    »Nur schade, daß ich schon so betrunken bin!« sagte Julia zu Anne.
    »Nein, ein Glück«, flüsterte die zurück, »ich jedenfalls würde es sonst gar nicht aushalten, wie die mit ihren fettigen Fingern in den Sachen herumwühlen.«
    Fotos von Ladestein waren dabei, in einem lustigen gestreiften Badekostüm, das damals schon reichlich aus der Mode gewesen sein mußte. Andere Bilder zeigten seine Freunde, die zu Besuch aus der Großstadt gekommen waren, Rechnungen waren dabei, eine ganze Anzahl böser Mahnbriefe, Billets und Ansichtskarten. Und wieder ein Foto. Es zeigte zwei Frauen in weiten Kittelschürzen, die offenbar gerade im Garten arbeiteten. Ladestein war dabei, die eine am Arm zu sich heranzuziehen, während ihm die andere lachend mit dem Zeigefinger drohte. Die Frau, die
Ladestein am Arm gefaßt hielt, war jung, vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig Jahre alt. Sie hatte kräftige, gerade Beine, ein gleichmäßiges Gesicht und kräftige Zähne, die sie beim Lächeln entblößte. Und sie hatte sehr helles Haar, wie ein Helm geschnitten, das ihr Gesicht leuchtend einrahmte.
    »Schau!« Julia berührte das Foto mit den Fingern. »Malvine!«
    Anne beugte sich herüber. Betrachtete lange das Foto.
    »Ja, das muß diese Malvine sein. Aber viel mehr als vorher wissen wir jetzt auch nicht.«
    »Es ist phantastisch.«
    Marianne hatte diesen Satz ganz ruhig vor sich hin gesprochen, und trotzdem war allen sofort klar, daß es der Beginn einer Rede sein sollte.
    »Was ist phantastisch?« fragte Anne dennoch ein wenig ungehalten dazwischen.
    »Der Engel, diese heidnische, archaische Form der Erlösung.«
    Zweifellos war auch die Gastgeberin keineswegs mehr nüchtern. Marianne hatte ihren gewaltigen Hut auf einem Tischchen abgelegt, wo er wie ein Präsentkorb thronte. Jetzt griff sie nach ihrer Pelzstola und legte sie sich wie einen jüdischen Gebetsschal über den Kopf. Geheimnisvoll schimmerte das aquamaringrüne Seidenkleid.
    »Dies ist die Botschaft von dem, der die sieben Sterne in seiner Hand hält«, donnerte Marianne plötzlich los, so daß

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