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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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harmloser Kirchenbesucher mehr in der alten Unschuld betrachten - das hatte ihnen Ladestein gründlich verdorben.
    Und so mutmaßte denn einer der großstädtischen, gelasseneren Freunde Ladesteins, es müsse doch für den Pastor ein erhebendes Gefühl sein, sonntags von Sitte und Anstand
zu predigen, während über ihm, als stummer, aber beredter Widerspruch der Inbegriff der Sinnlichkeit und des Lasters schwebte - mit kirchlichem Segen noch dazu, denn diejenigen Eiferer, die gleich nach dem denkwürdigen Abend das Kind mit dem Bade ausschütten, also den Engel entfernen lassen wollten, waren auf erbitterten Widerstand der übrigen Dorfbevölkerung gestoßen. »Wir lassen uns den Engel nicht madig machen!« lautete die vom Kantor ausgegebene Parole, und dabei blieb’s. Und diebisches Vergnügen machte es nun dem Briefpartner Ladesteins, dessen Unterschrift leider nicht mehr zu entziffern war, sich vorzustellen, wie die frommen Ehefrauen der Fischer, die ihre Männer ohnedies den Großteil des Jahres entbehrten, beim Anblick des Engels auf allerlei unheilige Sehnsüchte kamen, denen sie sich gänzlich ungestraft widmen konnten …
    »So gesehen, wirkt das schon ganz anders, daß bei meiner Mutter in der Stube immer ein Bild vom Engel hing!« rief Erika, hörbar irritiert.
    »Vom Engel? Vom Boreas!« rief ein anderer.
    Fast entstand so etwas wie ein Tumult. Die einen wollten die tolle Geschichte nicht wahrhaben, die anderen, schon weinselig entspannt, bestanden darauf, sofort eine Kommission einzusetzen, die sich unverzüglich auf den Weg ins Dorf machen und den gefallenen Engel in Augenschein nehmen sollte... Das wurde abgelehnt. Sven steuerte einen etwas wackeligen, aber durchaus noch imposanten Dessertwagen zur Tür herein, auf dem kleine Kuchen und Trüffel gestapelt waren, und sofort beeilte sich Iris, die entsprechenden Dessertweine anzubieten. Wie schnell Entschlüsse durch entsprechende Mengen von Alkohol ins Wanken zu bringen sind! Selbst die sonst so disziplinierte Hilda war inzwischen breitbeinig in einen der bequemen Sessel gesunken und hatte nicht bemerkt, daß ihr der Träger des roten Abendkleides von der Schulter geglitten war. Von den anwesenden
Männern mochte sie offenbar keiner darauf aufmerksam machen, die beeilten sich hingegen, kleine Patisserien vorbeizubringen. Lisa kämpfte mit einem Mürbeteig, der sich hartnäckig ihrer Gabel widersetzte. »Ist doch nicht zu fassen!« murmelte sie, dabei nicht wirklich empört. »Kein Wunder, daß meine Großmutter das Herzenhaus wieder abreißen lassen wollte! Arme Frau!« Sie grinste. »Aber die Geschichte, die hat sie mir nie erzählt. Und auch sonst hat sie keiner erzählt! Haben sie alle schön dichtgehalten, war ihnen allen peinlich!«
    Der alte Weber schlich sich an sie heran. Er hatte ausgiebig mit der Wasserpfeife experimentiert, assistiert vom immer neugierigen Jan, und sein Gesicht hatte mittlerweile die Farbe reifer Pflaumen angenommen.
    »Hört mal!« Weber wandte sich an die in seiner Nähe Sitzenden, »wenn ihr so gern bißchen Schweinkram hört...« Ein Rülpser entfuhr ihm. »O Verzeihung.«
    »Friedhelm!« warnte Lisa, und auch Anne winkte ab.
    »Nu laß schon hören!« riefen ein paar Junge.
    »Aber, aber, ich bitte Sie!« Das war Nothnagel, und man wußte nicht, ob es zustimmend oder ablehnend gemeint war. An seinem Arm lächelte die Attraktive mit dem Dekolleté unergründlich und blond.
    »Is’ eigentlich gar kein richtiger Schweinkram, is’ ooch so was, was vom Ladestein kommt. Der hat so Geschichten gesammelt, von’ner Insel, meinick...«
    Webers Aussprache war nicht mehr ganz taufrisch.
    »Det ging nämlich umme Entstehung vonnä Insel«, erzählte er. »Sven, haste nix mehr zu trinken im Haus?«
    Der Angesprochene eilte herbei, inzwischen ohne Kochmütze.
    »Die Jeschichte isja bekannt, nich’? Wie so’n kleener Man in’ner bösen Sturmnacht, bei so’nem richtijen Messwäddar anklopft bei’ner armen Frau und sich dann anderntachs
bedankt, in dem das nächste Flüssije, was die Frau anfäßt, sich nicht mehr einkriejen, nich mehr uffhalten läßt?«
    »Friedhelm! Lang-sam! Deut-lich!« mahnte Anne.
    »Ich bitte Sie, ich bitte Sie...« seufzte Nothnagel.
    »Wir wollen das jetzt hören!« entschied Lisa.
    Offenbar existierte eine rauhere Version der Sage, die die Entstehung der Insel zu erklären versuchte, eine Fassung, in der die wackere, aber arme Bäuerin den unbekannten Gast beherbergt und anderentags, nachdem er fort

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