Ostseeliebe
selbst Hilda in ihrem bequemen Lehnsessel plötzlich zusammenfuhr und sich aufrecht hinsetzte. »Die Botschaft dessen, der unter den sieben Menorahs wandelt. Ich weiß, was du getan hast und daß du hart gearbeitet hast, wie du ausgeharrt hast und böse Menschen nicht ertragen hast, deshalb hast du die geprüft, die sich selbst Gesandte nennen, es aber nicht sind - und hast sie als Lügner erfunden.
Du harrst aus, und du hast um meinetwillen gelitten, ohne müde zu werden. Aber ich habe folgendes gegen dich: Du hast die Liebe verloren, die du zuerst hattest!«
Marianne atmete schwer. Sie hielt sich an der Lehne ihres Stuhls fest, und jedermann konnte sehen, daß ihre Rede sie äußerste Konzentration und Anstrengung kostete. Nur, was hatte dieser Text aus der Apokalypse des Johannes mit ihr, mit ihnen zu tun?
»Die allererste Liebe, meine Freunde, die allererste Liebe ist das Land, wohinein wir geboren werden. Es ist dieses Land, unser Land hier. Wir haben hart gekämpft, meine Freunde, aber wir haben unsere Liebe, ich meine, diese kleine Insel, geraume Zeit brachliegen lassen. Doch, das sei euch gesagt, damit ist es nun vorbei!«
Einen Augenblick war Marianne Brant sichtlich von sich selbst gerührt. Dann straffte sich ihr Körper wieder. Mit einer geradezu herrschaftlichen Geste winkte sie Sven herbei, der ihr nachschenkte. Sie wandte sich an Anne Bult: »Du, meine Liebe, wirst dieses Konvolut natürlich bekommen für deine Gedenkstätte. Darum geht es mir nicht. Mir, nein mir geht es um den geistigen Gehalt...«
»... mir auch...«, stellte Anne klar, wurde aber überhört.
»Ich habe schon angekündigt, daß wir hier wieder Theateraufführungen haben werden. Wir haben Ladestein, wir haben Gorless und Oppeln - immerhin zwei bedeutende Heimatdichter -, und ich werde weder Kosten noch Mühen scheuen, um weitere Autoren aufzutreiben. Wir brauchen beispielsweise ein Mysterienspiel, ganz in der Art des Mittelalters, weil es die Durchdringung von Irdischem und Himmlischem auf einzigartige Weise verkörpert.«
»Ich beobachte hier eher eine Durchdringung von Körperlichem und Alkoholischem«, brummte Lisa.
»Wir haben bereits Künstler hier am Ort, und es gibt andere, die gern kommen würden, wenn sie eine Möglichkeit
hätten zu bleiben. ›Mach frei die Augen mir, damit ich schaue/die Wunder aus deiner Weisung./Ein Fremdling im Land bin auch ich/Die Seele mir genießt in Sehnen.‹ Das verbindet uns alle - daß wir alle Gäste sind und uns nach etwas Bedeutendem, nach etwas von Dauer sehnen. Die Künstler werden also eine Bleibe haben - mein Haus. Und es wird für sie gesorgt sein - durch Sven und Iris, meine lieben Schüler. Und es wird davon gekündet werden bis in ferne Universitätsstädte, Stätten des geistigen Lebens - durch Jeanette, deren Geist sich nach Erfrischung sehnt.«
Marianne machte eine ausholende Gäste. Ihre Schüler? Waren Sven und Iris nicht einfach ihr Koch und ihre Serviererin? Und Jeanette? Es mußte ein höllisches Mißverständnis gegeben haben. Julia fühlte sich hilflos. Marianne winkte die beiden Helfer zu sich heran, Sven links, Iris, die vor Verlegenheit fast zu weinen begann, rechts. Sie legte ihnen wieder jeweils einen Arm um die Schulter, wobei die Pelzstola ins Rutschen kam. Sven und Iris bemühten sich unauffällig, sie hinter Mariannes Rücken zu halten, was in der Dreierfigur für Unruhe, Gezappel und Gezerre sorgte, bis Marianne die beiden mit jenem eisernen, alle Widerstände erstickenden Griff hielt, den Julia schon so gut kannte.
»Ein jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert - das ist wahr. Aber die beiden haben beschlossen, daß sie zukünftig mehr als bloße Angestellte sein wollen. Wir werden zusammenleben und zusammenarbeiten, und jeder andere ist uns herzlich willkommen. Wir werden alles teilen und, so hoffe ich, meine lieben Freunde, wir werden hoffentlich auch Staunenswertes leisten.«
Die Gäste trauten sichtlich ihren Ohren nicht. Marianne hatte die beiden überredet, ohne Lohn für sie zu arbeiten?
»Es muß ihr doch schlechter gehen, als ich dachte«, meinte Anne, plötzlich wieder ganz nüchtern. »Sonst würde sie sich so etwas doch nicht ausdenken!«
»Ich weiß gar nicht, ob das rechtens ist«, zischte Nothnagel herüber. »Das will alles in Ruhe geprüft sein! In gro ßer Ruhe, lassen Sie mich nur machen.«
»Scht...« machte Lisa, die nichts verpassen wollte.
Wirklich schwebte Marianne eine Art Künstlergemeinschaft vor - mit festen, beinahe
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