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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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herum freigeräumt, einige faßten mit an, und schon hatten sie das lederne Ungetüm auf den Tisch gehievt. Die Schlösser schnappten mit einem trockenen Geräusch auf.
    »Hier«, sagte Marianne, während ihr Arm in den Koffer hinabtauchte, »hier habe ich die Schätze der Insel. Aufbewahrt seit Jahrzehnten. Wir müssen sie nur wieder zum Leben erwecken. Wir haben Lazarus! Und Lazarus muß heraus. Denn wer«, jetzt schwoll ihre Stimme wieder mächtig an, »wer sollte IHM im Scheol huldigen? Das fragen schon die Preislieder, die heiligen Tehillim.«
    Julia dachte, daß den meisten anderen die »heiligen Tehillim« oder Psalmen und selbst der schreckliche Höllenschlund, der »Scheol«, wahrscheinlich entweder gänzlich unbekannt oder jedenfalls ziemlich gleichgültig waren, aber was sich in dem Koffer verbarg, das wollten sie offensichtlich alle wissen. Marianne kramte, dann zog sie mit triumphierender Miene einen Stapel verblichener Papiere hervor.
    »Hier. Der Boreas. Die Angaben zur Uraufführung. Und: Fotos! Das heißt, wir könnten die Originalaufführung wiederholen. Ich bin sonst, wie ihr wißt, gar nicht so eine große Freundin der Ladesteinschen Dramen, aber diese Pièce hier, die hat mich überzeugt. Das hat Tiefe, das hat Bedeutung!«
    Sie warf die Papiere mit einer dramatischen Geste auf den Tisch. »Diese Pièce«! Julia traute ihren Ohren nicht. Dokumente von Ladesteinaufführungen?!
    »Warum hat diese alte Schachtel davon nie etwas gesagt?!« zischte Anne jetzt, und man merkte ihr die Empörung an. Hart wurden sie herausgerissen aus ihrer Partystimmung. »Das habe ich gerne: Erst abfüllen und dann große Bekenntnisse ablegen! Verflixt, warum nur habe ich schon so viel Wein getrunken!«

    Marianne schien zu ahnen, was die beiden, schließlich offiziell zuständig für den Nachlaß des Dichters, von ihrer Heimlichtuerei halten würden.
    »Es tut mir leid, ich wußte natürlich, daß ihr auf solche Unterlagen gewartet habt. Aber, wißt ihr, ich habe genau gespürt, daß die Zeit - wie soll ich sagen - nicht die beste dafür war. Die Aura war nicht günstig, glaubt mir, ich bin sehr gewissenhaft vorgegangen. Ich mußte auch abwarten, wie sich alles andere entwickeln würde. Konnte ich ahnen, daß ich so überaus talentierte Helfer finden würde? - Für die Küche, gewiß, aber doch auch für vieles mehr. Was ist ein Lehrer ohne Schüler? Denn es steht geschrieben: ›All seine Brüder habe ich ihm zu Knechten gegeben und mit Korn und Most ihn versehen.‹ Die richtige Zeit ist nun gekommen. Und gerade euch, meine Lieben, danke ich dafür.« Sie nickt Anne und Julia huldvoll zu.
    Sie sprach in Rätseln. Sie sprach weiter.
    »Jaja, schließlich habt ihr, meine treuen Freundinnen, mich mit dieser überaus kompetenten und, wie soll ich sagen, positive Energien ausstrahlenden Jeanette bekannt gemacht. Und Jeanette, so versichert sie mir in ihrer entzückenden Korrespondenz, Jeanette wird ebenso mit von der Partie sein wie meine beiden Lieben hier.« Sie griff mit der gleichen besitzergreifenden Gebärde nach Iris und Sven wie damals, am Anleger.
    »Jetzt endlich kann ich sicher sein, daß ihr mich versteht und daß ihr vor allem alles in eurer Macht Stehende unternehmen werdet, um meinen verwegenen Plan zu unterstützen. Denn, so viel vorweg: Verwegen ist er! Denn ihr wißt ja: ›Die Verständigen werden leuchten wie der Himmelsfläche Glanz, und die viele zur Redlichkeit geführt wie die Sterne, immer und ewig.‹«
    »Das einzige, was hier glänzt, ist Mariannes Nase! Weil sie nämlich schwitzt! Weil sie ein schlechtes Gewissen hat!
Verdammt noch mal, was hat denn deine Jeanette hiermit zu tun?« Anne Bult war sichtlich fassungslos. Julia zuckte die Achseln. Ihr schrieb Jeanette die selben launigen Briefe wie immer, nur angerufen hatte sie nicht mehr in jüngerer Zeit. Hatte Marianne Brant einen ganz harmlosen Höflichkeitsbrief falsch verstanden, in dem Jeanette sich für die Gastfreundschaft bedankte? Aber auch von einem solchen Brief an Marianne hatte Jeanette nichts erzählt. Andererseits: Warum sollte sie auch, sie war niemandem, auch ihr nicht, Rechenschaft schuldig... Julia grübelte.
    Marianne war in ihrem Element. Sie hatte die Rettung gefunden, die Rettung für die Restauration im Föhrenwald, die Rettung für den Föhrenwald, ja vielleicht die Rettung für die ganze Insel! Tatsächlich machte sie nun eine beinahe segnende Geste, wobei ihr dramatisch der Pelzkragen von den Schultern rutschte und

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