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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Menschen, die auf selbstverständliche Weise wußten, was sie zu tun hatten.

    »Nu, dann ruf doch mal Kalle an.«
    »Bis der hier ist, ist der Kerl schon ganz vermodert.«
    »Hol’n Pastor!«
    »Das’s ja büschen spät, meinste nich’? Nu gib doch mal einer’ne Decke, das sieht hier ja nich’ so gut aus.«
    »Hanno kann kommen.«
    »Hanno?!?«
    »Na, der macht doch jetzt alle Arten von Fuhren, kann er die hier auch machen!«
    Einige lachten. Gutmütiges Geplänkel.
    Zeit verstrich. Die Leute redeten miteinander, blieben aber um die Leiche versammelt, umringten sie, als könnten sie den leblosen Körper noch jetzt vor etwas beschützen. Die Sonne hatte sich wieder hinter einen Schleier aus Dunst verzogen; vom Meer kroch Feuchtigkeit heran. Irgendwo im Dorf klapperte jemand mit Töpfen, ächzten Karren, hörte man Kinderstimmen rufen, sehr weit entfernt. Ein Huhn gackerte. Hier hingegen war alles still. Verhalten liefen die Wellen auf dem Strand aus, verhalten nur rauschten sie, und kein Hund verirrte sich hierher. Selbst die unverwüstlichen Möwen hatten sich andere Orte für ihr morgendliches Palaver gesucht. Julia richtete sich vorsichtig auf. Das war’s wohl. Sie fröstelte und beschloß, zu bleiben, etwas abseits von der Gruppe zwar, aber unfähig, sich zu entfernen. Etwas hielt sie fest. Die Neugierde? Die hätte sie überwinden können. Nein, es war etwas Stärkeres, was Julia an diesen ungemütlichen Ort band, mit fremden Menschen, die sie nicht beachteten, neben einer Leiche, mit der sie nichts zu schaffen hatte. Julia zollte dem Tod Respekt; jetzt, da sie ihm nicht ausweichen konnte, blieb sie einfach bei ihm und stellte fest, daß es sich aushalten ließ. Es war nicht unerträglich, neben einer Leiche zu stehen. Nichts schlug sie in die Flucht. Es war vielmehr so, als hätte sie etwas, was immer schon neben ihr stand, endlich wahrgenommen.

    »Guck mal, da kommt Hanno sein Wagen!«
    »Is’ aber gar nich’ Hanno.«
    Ein Pferdewagen polterte den Weg herab zu der wartenden Gruppe. Es war ein leichter Wagen, zweispännig, und jetzt sah man, daß die beiden Braunen davor kräftige Mecklenburger waren.
    »Ho, Leo, ho, Schorsch!«
    Das Lederzeug ächzte, als die Pferde hielten. Die blonde Frau auf dem Kutschbock sprang mit elegantem Schwung ab. Sie trug feine gelbe Handschuhe, stellte Julia fest und ärgerte sich darüber, wie vertraut sie mit dem Wagen und den beiden Pferden umging. Warum, zum Henker, ärgerte sie das eigentlich? Schließlich konnte der Tierarzt seinen Wagen, seine Pferde und sein Leben teilen, mit wem er wollte. Auch mit blonden Handschuhträgerinnen! Was ging sie überhaupt der Tierarzt an, der ihr am Abend zuvor nur durch flegelhaftes Verhalten aufgefallen war? Julia gab sich einen Ruck: Los, verschwinde von hier, sagte sie sich, du hast hier nichts verloren.
    Die blonde Frau wußte offenbar, was zu tun war. Der tote Seemann wurde auf die Ladefläche gehoben, in eine Decke gehüllt, festgebunden. Ein Helfer stieg hinauf zu der Blonden, die behende wieder auf dem Kutschbock Platz genommen hatte. Ein leises Schnalzen, und schon waren sie fort.

    »Na, Frolleinchen, geht’s denn wieder?«
    Eine freundliche Stimme. Ein Mann, Mitte Fünfzig vielleicht, mit einem Mittfünfzigerallerweltsgesicht, der sie vorsichtig am Arm berührte.
    »Vielleicht wär’ so’n kleiner steifer Grog jetzt das Richtige für Sie?«
    »Nein danke«, sagte Julia und ärgerte sich sogleich über den Satz, den sie noch hinzufügte: »Ich trinke tagsüber nichts.«

    Der Mann lächelte, ließ ihren Arm los und wandte sich wieder den anderen zu. Man brach auf, zum Dorf. Sofort beschloß Julia, einen anderen Weg zu nehmen. Ich trinke tagsüber nichts! Wieso ließ sie sich so oft zu solchen überflüssigen Sätzen hinreißen?! Streberinnensätze. Müttergefallsätze.
    Die Dorfbewohner waren verschwunden, einige hatten zum Abschied kurz genickt. Die Möwen kehrten allmählich zurück. Vielleicht hatte auch ihnen der Tote am Strand nicht behagt. Unwillkürlich machte Julia um die Stelle, auf der er gelegen hatte, einen Bogen, als sie nun langsam Richtung Meer ging. Links wurde die kleine Bucht von einem sanften Kiefernwäldchen begrenzt, das, wie sie aus dem Reiseführer wußte, tief hinein in die Insel reichte. Rechts tastete sich eine Landzunge unsicher ins Meer hinaus. Sie war nur niedrig begrünt, von Strandhafer, scharfem, blassem Gras und einigen Büschen. Dahin zog es Julia nun. In der Mitte verlief ein

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