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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Alleinsein geschuldet waren. Geschuldet waren - nun dachte sie auch schon so!
    »Es gab viel Krach um eine Bauverordnung, die Neubauten nur den Einheimischen und auch diesen wieder nur zu einem kleinen Prozentsatz zugesteht, aber wir können von Glück sagen, daß dem so ist, sonst wären wir schon völlig zugebaut! So ist die Insel selbst während der Sommerferien nicht völlig überlaufen. Aber immerhin: Stellen Sie sich vor, daß wir hier knapp tausend Einwohner haben, und jeden Sommer beherbergen wir dreihunderttausend Gäste! Das Problem sind, wie gesagt, die Tagesgäste, bis zu fünftausend am Tag. Sie kommen mit den Fahrgastschiffen, von denen im Sommer drei pro Tag anlegen. Es ist nicht kalkulierbar, dieses Geschäft, und auch darin liegt ein großes Risiko - für die Reederei und für die Geschäftsleute auf der Insel. Das Geschäft hängt nämlich ausschließlich vom Wetter ab. Tagesgäste sagen ganz ungerührt einen einmal gebuchten Ausflug ab, weil sich am Morgen ein paar Wölkchen am Himmel zeigen. Es macht ihnen nicht einmal etwas aus, wenn sie die Überfahrt bereits bezahlt haben. Hier, im Café Wetterstein und in den Gasthäusern, sind die Tische trotzdem reserviert und bleiben dann eben leer. Und die, die kommen, haben es eilig. Sie wollen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel geboten bekommen, und darauf ist eine Insel wie diese nicht eingestellt. Neuerdings ist manchmal von einem Erlebnispark die Rede, ich habe allerdings nur gerüchteweise davon gehört. Passieren muß auf jeden Fall etwas. Die Tagesgäste werden jedes Jahr mehr. Und sie wollen etwas erleben.
    Das, was es an Attraktionen gibt, nehmen sie jedenfalls mit. Sie kommen an, leihen sich Fahrräder und schwärmen im Pulk aus. Sie besichtigen im selben Tempo, in dem sie in
Köln oder Freiburg ihren Alltag bewältigen, die Kirche und den Leuchtturm, und die meisten werfen nur einen Blick ins Heimatmuseum, weil sie dort Postkarten kaufen können. Die Inselbewohner haben sich trotzdem auf sie eingestellt, und allmählich kann man auch eine Veränderung der Arbeit beobachten: Unser Tierarzt zum Beispiel hat seine Praxis nur noch an zwei Tagen in der Woche geöffnet, den Rest der Zeit kutschiert er die Tagesgäste umher. Das bringt mehr ein, als ein Pony zu impfen.«
    Sie sagte es ein wenig bitter. Der Tierarzt! Er schien ein wichtiger Mann im Ort zu sein. Julia mochte ihn nicht. Sie mochte Leute nicht, die sich überall breitmachten, über deren Anwesenheit man nicht hinwegsehen konnte. Schließlich war sie ihm in den vierundzwanzig Stunden auf der Insel nun schon dreimal begegnet. Nun ja, nicht direkt. Direkt hatte sie ihn nur einmal gesehen, und diese Begegnung reichte ihr vorläufig. Die beiden anderen Male hatte sie eigentlich nur seine Pferde, seinen Wagen - und diese Blondine beobachtet. Sie wischte den Gedanken zur Seite - und erwischte mit dem Gedanken auch die Zuckerdose. Ein Scheppern, ein Klirren, dann lag das schöne Gefäß zerbrochen auf den Fliesen. Kandis kollerte davon. Und alles nur wegen dieses Tierarztes. Immerhin wußte sie nun seinen Namen: Hanno Minarek.

    Durch Julias Ungeschick kam es, daß sie das Gespräch erst am nächsten Tag fortsetzten. Angesichts der Scherben hatte Frau Bult Julia lediglich einen Zettel mit der Telefonnummer eines Geschäfts auf dem Festland in die Hand gedrückt.
    »Die schicken Nachschub«, hatte sie nur gesagt. »Und wenn Sie schon einmal dabei sind, bestellen Sie gleich noch ein paar Tassen. Der Herbst kommt, da hocken wir beieinander. Ist eigentlich eine gute Gelegenheit.«
    Julia war ihr dankbar für die Sachlichkeit, mit der sie das
Mißgeschick behandelt hatte und die es ihr ermöglichte, die kleine Unterhaltung am nächsten Tag unbefangen wieder aufzunehmen. Bald wurde das zur Gewohnheit: Immer, wenn es dämmerte, verließ Julia die Dachkammer im Ladestein-Haus, wo sie den ganzen Tag über damit beschäftigt war, Kartons zu sortieren und neu zu stapeln. Sie blickte nicht auf die Uhr, sie ging einfach nach unten, wo Frau Bult pünktlich um siebzehn Uhr den Besuchereingang schloß, um Kasse zu machen. Inzwischen hob Frau Bult nur noch kurz den Kopf, nickte, und es war Julia, die hinüber in die kleine Küche ging, um einen Kessel mit Wasser aufzusetzen. Während sie darauf wartete, daß es zu sieden begann, schaute sie hinaus in den üppigen Garten, den Hofmeier, ein Freund Ladesteins, in vielen Sommermonaten angelegt hatte und der nicht so recht in die Gegend passen wollte mit seinen

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