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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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ich Volker bei Gelegenheit einmal fragen. Ach, Volker, mein Spezialist für Oberflächen - ein ganz trübes Thema, und es wird von Wochenende zu Wochenende
trüber! Ich werde den unheimlichen Eindruck nicht los, daß er sich jedesmal mit mehr Leidenschaft seinem neuen Macintosh und entsprechend weniger enthusiastisch meiner Wenigkeit widmet; möglicherweise besteht da auch ein kausaler Zusammenhang?!
    Du kennst diesen saublöden Witz, in dem ein Geschäftsmann den anderen fragt: Haben Sie noch Sex? Oder spielen Sie auch schon Golf ... Nun, ich glaube, den könnte man in leichter Variation so anwenden: Haben Sie noch Sex, oder programmieren Sie schon ihre Homepage ... Lach Du nur, Du hast deine kernigen Seebären (auch wenn Du von keinem einzigen schreibst, gibt es keine Seeleute, keine Fischer oder schmucken Kapitäne???).
    Spaß beiseite, was mich ehrlich gefreut hat an Deinem soo sehnsüchtig erwarteten Brief, ist, daß es Dir offenbar so gutgeht und daß ich eine Seite an Dir entdecke, von deren Existenz ich bisher nicht allzu viel wußte: Julia, das Naturkind.
    Ich räume gleich freimütig ein, daß mir so viel Natur ein wenig unheimlich ist. Eigentlich bin ich ja heilfroh über meinen Laptop und die Segnungen der Informationstechnik, auch möchte ich das Abhotten am Wochenende im »Zuzu« nicht missen und weiß, daß ich theoretisch Nacht für Nacht mit einem virtuellen Lover in Leopoldsville oder Shanghai chatten könnte. Ich tu’s zwar nicht - aber ich könnte! Für die Flucht aus der Realität steht mir also jederzeit ein keimfreies, unaufdringlich abschaltbares Transportmitttel zur Verfügung. Und ein bißchen Flucht-aus-der-Realität ist Dein Job ja schon, gib’s nur zu! Man kann heutzutage dem Leben in der Natur ja gar nicht mehr anders frönen als nostalgisch, den Blick stur rückwärtsgewandt, stimmt’s? Und bestimmt stehen die diversen Piepmätze, von denen Du mit erstaunlichem Enthusiasmus berichtest, längst auf irgendeiner roten Liste oder zumindest
unter Naturschutz. Ist das eigentlich Natur, wenn etwas nicht aussterben darf???
    Ich hatte mich ja schon auf Sylt gewundert, daß Du diesen ornithologischen Führer dabeihattest, hatte mir Vogelkundler eigentlich immer ein bißchen anders (vor allem ein bißchen spilleriger und ein bißchen sonderbarer) vorgestellt, aber sei’s drum! Wenn es Dir Spaß macht!
    Ich finde es auch verblüffend, wie viel selbst bei mir von den unsäglichen pädagogischen Sonntagnachmittagsspaziergängen mit den lieben Eltern hängengeblieben ist, trotz heftiger innerer Abwehrmaßnahmen. Deinen »Sprosser« kenne ich allerdings nicht, ich wußte, daß Dohlen Stimmen imitieren, aber doch eher menschliche? - Ich gebe zu, da bin ich Laie. Aber im Moment fühle ich mich sowieso, als wäre ich überall Laie. Seufz. Ja, Du hast recht, ich denke zuviel an Männer. Immerhin ein Fortschritt: Nicht mehr nur an den einen!
    Laß es Dir gutgehn und melde Dich bald wieder, ja? Deine fortschrittsgläubige Festlandsfreundin
    Jeanette

    P.S. Ich grüße Dich noch mal von Volker, lange ist wohl nicht mehr Gelegenheit dazu ...

4
    Tage. Nächte. Überraschende Morgen, an denen sie als erstes beim Blick aus dem Fenster feine Nebelgespinste zwischen den Bäumen hängen sah. Die Färbung der Blätter ließ allerdings kaum das Nahen des Herbstes erahnen. Hier vollzogen sich Übergänge langsam, schmeckte heiße Schokolade bitter nach, behielt man den Schlüssel in der Hand, lange, nachdem man die Tür hinter sich abgeschlossen hatte.

    In der Luft kündigte sich ganz allmählich ein Wechsel an. Kühlere Zonen warteten. Nachmittags bereiteten die Gänse und Reiher ihre Flucht vor. An immer mehr Häusern hing das Schild »Zimmer frei!«. Wer es ausstellte, verriet auch, daß er die Saison über hart gearbeitet hatte. Aber noch ging kein Aufatmen durch Stiftsdorf, noch schlenderten an Nachmittagen große Gruppen von Spaziergängern über die Dorfwege, die Hunde hatten das Anschlagen verlernt, die Heiserkeit hätte sie sonst umgebracht über den langen Sommer.

    Julia wußte nun, wo die Milchtüten standen in Erikas Laden und wo das Paketband bereitlag. Die Leute, denen sie auf ihren Wegen begegnete, kamen ihr gelegentlich zuvor mit dem Grüßen, und Julia grüßte zurück. Mehr verlangte man
nicht auf der Insel. Der Alltag war einfach und eben und schmeckte wie das Brot, das der Bäcker aus Stralsund zweimal in der Woche auf die Insel schaffte.
    Julia träumte jede Nacht, und sie träumte so

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