Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
also. Julia bestellte Kaffee und einen Brandy, sie wollte die Wärme der Sauna nicht gleich wieder verlieren.
Zusammen mit Lisa, mit der Mausbraunen und ihrer Freundin Biggi, mit Mady, der Buchhändlerin, und mit Erika hatte sie die Plätze an der Theke eingenommen, während sich die anderen um einen großen Tisch scharten.
    Die Bar des Dünenhotels war als Fischerkneipe hergerichtet, die Decke mit großen, grünen Netzen bespannt, in denen gläserne Kugeln schwangen. Strandgut war zu bizarren Mobiles arrangiert. In einer Ecke thronte sogar ein Anker, dem allerdings ein Stück fehlte; der Flunk war vermutlich in irgendeinem Sturm abgebrochen. Die Theke wurde gekrönt von einer bunten Lichterkette, säuberlich aufgereiht standen dahinter die Flaschen, und in der Ecke blinkte eine stattliche Jukebox im Las-Vegas-Design: »Rhythm is a dancer...«, Erika, das Glas Pfeffi in der Hand, hatte eine Mark eingeworfen und wippte nun im Takt zur Musik. Ihr rotes Haar reflektierte die Lämpchen aus der Jukebox. Sie tänzelte zur Theke zurück:
    »Na, Malte, hast du mal wieder den aufregendsten Abend der Woche erwischt?«
    Der Kellner grinste. Mit seinen feuerroten Haaren und dem Bart, der ein hageres und für sein Alter viel zu faltenreiches Gesicht umgab, wirkte er wie die Karikatur eines irischen Seemannes. Der Bart, etwas heller als die Flammenzeichen auf dem Kopf, stand um die Wangen widerspenstig ab, wölbte sich wohlerzogen nur um das kräftige Kinn; das Barthaar erinnerte an vertrockneten Seetang - so, wie der ganze Mann eigentlich wie ein Wasserwesen wirkte, ein schlankerer Cousin des mächtigen Neptun womöglich, ein Aufseher über den örtlichen Nixenharem… Aber nein, dazu war er zu sehr in sich gekehrt, zu still. Die wasserblauen Augen waren mehr nach innen als nach außen gerichtet, sehr weiße Hände griffen mechanisch nach immer neuen Bierkelchen und stellten sie unter den Zapfhahn, füllten sie, wischten den Schaum ab, ringelten einen Tropfschutz
um den Stiel, stellten das gefüllte Glas vor einer Frau ab, machten Striche auf Bierdeckel. Malte kannte die Frauen, und die Frauen kannten ihn. Er war tatsächlich zur See gefahren, zwanzig Jahre lang, auf einem der vielen Reparaturschiffe, die der Staat unterhielt. Um Zeit zu sparen, wurden defekte Schiffe nicht in die Häfen zurückgeholt, sondern gleich auf See wieder instandgesetzt, und auch die neuen Schiffe, die der Staat in großer Zahl auf der Schwesterinsel bauen ließ, mußten überprüft werden. Jede Woche ein neues Schiff, kein Mensch wußte, wer so viele Schiffe brauchte, aber jedenfalls hatte die Werft, die den Namen eines berühmten Arbeiterführers trug, immer genug zu tun, die Leute waren zufrieden, und man konnte hohe Produktivitätszahlen nach Berlin melden. Und darauf kam es an. Viele nutzten die offene See, um sich abzusetzen, erzählte Malte, also wurden die Kontrollen im Laufe der Jahre immer strenger. Keineswegs jeder durfte zur See fahren, es galt als eine Art Auszeichnung für zuverlässige Leute, zuverlässig freilich im politischen Sinn; die Maschinen warten konnten die Leute deshalb noch lange nicht.
    »Irgendwann gab es mehr Leute vonner Sicherheit als Seeleute«, sagte Malte grinsend. »Wenn mal’n richtiger Sturm gekommen wäre, wären wir glatt versuppt, mit Mann und Maus, so viele Fachleute hatten wir an Bord!« Er lachte. »Aber natürlich konnste keenen Schritt tun, ohne daß du beobachtet wurdest. Irgendwann hatte ich die Neese echt voll.«
    Malte hatte rechtzeitig die Lust verloren, rechtzeitig, bevor nicht mehr zu übersehen war, daß da eine Scheinwirtschaft entstanden war, die keinem mehr nutzte, rechtzeitig, bevor selbst die hartgesottensten Planer erkennen mußten, daß Störe und Lachse einfach »aus« waren. Komplett leergefischt war die Ostsee, vielleicht, so trösteten sich die Fischer, hatten ein paar Schwärme sich auch noch rechtzeitig davongemacht, ihre Zugrouten geändert... Wahrscheinlich
war das nicht. Den paar Fischern, die durchgehalten hatten, war in erster Linie Blankfisch geblieben: Hering und Sprott. Malte indessen war zufrieden, trotz des Niedergangs einer ganzen Industrie. Er hatte immerhin hierbleiben können, hatte jetzt Zeit, sein kleines, graues Häuschen zu streichen, und seine Tochter konnte noch ein Weilchen hier zur Schule gehen, bevor auch sie in ein Internat auf dem Festland geschickt werden würde. Und die Frau? Wieder zuckte Malte die Achseln. Die war auf und davon, bei der ersten Gelegenheit.

Weitere Kostenlose Bücher