Ostseeliebe
sollten die einheimische Rübenmonotonie durchbrechen.
»Aber wer weiß, was du da für’n Ungeziefer zusätzlich ins Haus holst!« warnte Lisa. »Du weißt doch, wie schwer wir das hier wieder loswerden! Was einmal auf der Insel ist, das bleibt!«
»Wie man ja an Hanno Minarek eindeutig erkennen kann!«
Das klang giftig, ungewöhnlich für den an sich recht harmonischen, ja ausgelassenen Abend. Biggi, die Freundin der Maushaarigen, hatte das gesagt, und die anderen lachten laut - ein wenig zu laut, wie es Julia vorkam.
»Was ist denn mit Hanno - Minarek?«
Sie setzte den Nachnamen hinzu, als sei sie es gewöhnt, ihn mit Vornamen anzureden.
»Ach, der paßt eenfach nischt hierher!« sagte die Mausbraune.
Hanno Minarek kam aus der Berliner Gegend, und er mußte ein ziemlich heller Bursche sein, wenn er Tiermedizin hatte studieren dürfen, obwohl es unter seinen Vorfahren schon diverse Tierärzte gegeben hatte und der Staat doch darauf hielt, daß es kein Gemauschel gab. Zunächst war der Junge zur Armee eingezogen worden, wo er sich mucksmäuschenstill verhalten haben mußte, denn er bekam gleich hinterher einen Studienplatz - einer von nur siebzig oder achtzig Tiermedizinern pro Jahrgang, die auszubilden für nötig gehalten wurde im Arbeiter- und Bauernstaat. Und sogar in Berlin hatte er bleiben können, hatte nicht, wie viele andere, ins doch recht fremde Leipzig ausweichen müssen. Das Studium hatte er schnell beendet, obwohl er, so munkelte man, in einer recht aufmüpfigen Kabarettgruppe mitgespielt hatte: Die »Pieketiere« traten aber nur in Studentenkreisen auf und wurden ignoriert. Vielleicht hatte er aber auch bloß einen Freund gehabt, der in der Kabarettgruppe mitgespielt hatte, wer wußte das schon. Komisch war es jedenfalls. Und dann wurde Hanno, dieser schicke Großstadtbursche, für drei Jahre ausgerechnet hierher, auf diese Insel geschickt, die er in Protestschreiben sogleich »ein verlorenes Nest« genannt hatte, wo es in der Praxis, die er sich mit einem schon alten und resignierten Arzt sowie einem jüngeren aus Brandenburg teilen mußte, nicht einmal einen Operationssaal gab, man also die Rinder nicht obduzieren konnte, wenn wieder einmal eine dieser rätselhaften Seuchen ausgebrochen war, die die Bestände regelmäßig dezimierten. Seltsamerweise bekam der aufsässige Hanno seinen OP, er bekam auch ein Labor, obgleich er sich
im Gegenzug angeblich nur dazu verpflichtete, dafür zu sorgen, daß die Ferkelverluste in dem Betrieb um fünfzehn Prozent zurückgehen würden.
»So etwas mußte man unterschreiben, stell dir mal vor!« kicherte Lisa, zu Julia gewandt. »Wir haben alle mehr versprochen, als der ganze Westen an allen Silvesterabenden des ganzen verdammten Jahrhunderts zusammen!«
Das waren, wie es Malte mit einiger Bitterkeit formulierte, die »ideologischen Kniebeugen«, die das System verlangte. Und Hanno erfüllte die Bedingungen, offenbar mit Bravour. Und als der alte Arzt ausschied und irgendwann verschwand (zu Verwandten in den Westen, wie man munkelte), da wurde den beiden zurückgebliebenen kein neuer dritter Arzt zur Seite gestellt, und so gab es Platz im Wohnhaus der Ärzte, Platz genug für Hanno Minareks alte Mutter, die ohne weitere Formalitäten einziehen konnte, Platz schließlich auch für Hilda, Hannos Schwester, die wegen ihrer seltsamen Art nicht zurechtkam und irgendwie untergebracht wurde, man wußte nicht so recht, wie. Zwischendurch verschwand sie immer ein paar Monate, um, wie es hieß Kostüme für das Theater auf der Nachbarinsel oder sogar für das Opernhaus in Neubrandenburg zu schneidern, das konnte stimmen oder nicht, geredet wurde viel. Und Hanno Minarek konnte sogar reisen, machte Kurse irgendwo in der asiatischen Sowjetunion und kam noch hochnäsiger zurück. Bekam er eine »Intelligenzrente«, den Lohnzuschlag für die, wie es im Jargon der Partei hieß, »verdienten Werktätigen«? Man wußte es nicht. Aber schlecht ging es den Minareks nicht. Und so gab es schon hämische Kommentare, als vor zwei, drei Jahren die alten LPGs langsam, aber unaufhaltsam in die Knie gingen. Sie waren zu groß geworden, natürlich, kein Mensch im Umkreis brauchte so viel Rind- und Schweinefleisch, aus Polen zu importieren war billiger, und so wurden die Riesenbetriebe zunächst geteilt und anteilig verkauft.
Und die neuen Eigentümer aus Holland brachten ihre eigenen Futtermittel und ihre eigenen Medikamente mit.
»Da hat der Minarek aber nicht schlecht gestaunt!«
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