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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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sagte Erika.
    Es ging also bergab mit der Tierarztpraxis. Die alten Nutztiere verschwanden nach und nach, die Umweltgutachten der neuen Behörden, die nicht mehr in Berlin, sondern in Schwerin, in Bonn und sogar im unvorstellbar weit entfernten Brüssel saßen, ergaben, daß die Belastung der Böden durch Gülle und Düngemittel alarmierend hoch war, daß also weiter reduziert werden mußte. Und all die schönen Anstrengungen der letzten Jahrzehnte, die auf mehr Produktion und noch mehr Produktion hinausliefen, mußten plötzlich ins Gegenteil verkehrt werden: Wer weniger herstellte, war im Recht und bekam am Ende noch Prämien dafür. Verstehe das, wer kann! Weil aber zur gleichen Zeit die irritierten Inselbewohner keineswegs Lust verspürten, sich Schoßtiere - Katzen, Hunde, harmlose Meerschweinchen oder Papageien - anzuschaffen, war es bald um die Praxis des Doktors gar nicht mehr gut bestellt. Zudem überlegten die Leute auch zweimal, bevor sie ihn riefen, nicht nur aus dem Gefühl heraus, es dem ewigen Gewinner einmal zeigen zu wollen - nein, die Preise waren explodiert, seit die Praxis privatisiert worden war. Inzwischen war Hannos Mutter gestorben, der junge Kollege abgewandert, und Hanno und seine schöne Schwester harrten aus. Einige munkelten schon, nun würden auch Hanno und Hilda bald die Insel verlassen, und manch einer spekulierte schon auf das Haus, das in Nebel am Rande der Heidelandschaft lag, aber irgendwann in dieser Zeit mußte Hanno auf eine annehmbare Lösung seiner Probleme gekommen sein: Er verkleinerte die Praxis, verkaufte das Inventar des Operationssaales und schaffte Kutschen an: flotte Landauer und vor allem solide Kremser, Planwagen, in denen sich bis zu fünfzehn
Touristen auf einmal umherfahren ließen. Pferde besaß er ja bereits: die beiden Braunen, Leo und Schorsch. Und seine Schwester war eine ebenso charmante wie tüchtige Partnerin. Hilda kam gut an bei den Touristen, und sie machte eine glänzende Figur auf dem Kutschbock. Minarek tat sich mit der Schiffahrtsgesellschaft zusammen, also wußte er als erster, wann wie viele »organisierte« Tagesgäste ankommen würden. Hilda dachte sich sogar ein kleines Besichtigungsprogramm aus, und bald würden sie die ersten Komplettangebote machen können, denn Hanno hatte bereits mit dem neuen Besitzer der Scheune verhandelt, der bereit war, für ein festes Kontingent an Gästen die Preise zu senken. Das Geschäft lief so gut, daß Minareks wichtigster Konkurrent schon kurz vorm Aufgeben war.
    »Das ist bloß’ne Frage der Zeit«, sagte Biggi.
    »Ja, der kommt schon zurecht!« sagte die alte Lisa nachdenklich. »Aber er kriegt den Hals nicht voll. Was will er denn noch?«
    Keine Frage, die Frauen mißtrauten den Minareks, obwohl die Geschichte für Julia eigentlich nur nach zwei Menschen klang, die versuchten, mit den neuen Verhältnissen zurechtzukommen. Aber das sagte sie nicht. Diese Art von Initiative kam hier nicht gut an. Daß jemand neben seinem eigentlichen Beruf noch etwas Neues begann, erfüllte all die, die nicht auf solche Ideen kamen, mit Bitterkeit - und mit Mißtrauen. Jetzt verstand Julia auch das seltsam übertriebene Bemühen Hildas, mit den anderen Kontakt aufzunehmen, diese eigentümliche, so gar nicht zu ihr passende Unsicherheit im Umgang mit den Inselbewohnern. Es war ein Teufelskreis, der Julia bekannt vorkam. Man strengte sich an, um von den anderen akzeptiert zu werden. Aber je mehr man sich anstrengte, um so mehr verkrampfte man sich auch, und desto mehr empfanden die anderen einen als Fremdkörper, als irgendwie streberhaft, als jemanden, der
bestimmt noch andere Absichten als die offenkundigen verfolgte.
    Denselben unglücklichen Versuch, angenommen zu werden, hatte auch Julia hinter sich. Bei ihrer Mutter zunächst, deren Achtung sie um jeden Preis erringen wollte. Als Kind glaubte Julia, daß die Mutter sich deswegen so wenig um sie kümmerte, weil es der Tochter nicht gelang, ihren Respekt zu gewinnen oder ihre Aufmerksamkeit. Julias Mutter war an Kindern einfach nicht interessiert - höchstens insoweit, als daß sie dachte, »Kinderaufzucht« gehörte nun einmal zu einem normalen bürgerlichen Leben. Und an einem solchen lag ihr ungemein.
    Julia aber nahm wie alle Kinder an, der Fehler liege bei ihr. Und versuchte, ihn wettzumachen, diesen ihr unbekannten, rätselhaften Mangel, der dazu führte, daß die Mutter ihr gegenüber immer eigentümlich zerstreut war; schon von der bloßen Anwesenheit der Tochter

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