Ostseeliebe
helf’n tätet...«
Er hatte Gänse mitgebracht, einen ganzen Schwung voller frischgeschlachteter Gänse. Und von der Chefin konnte man wohl nicht verlangen, daß sie das Viehzeugs mit reintrüge, nicht wahr? Als Hanno aufstand, ging Julia mit, und ehe sie sich’s versah, hatte sich auch Jeanette angeschlossen. Webers Traktor stand draußen im Regen, das vertraute windschiefe Ungetüm mit einem verzogenen Regenüberdach aus Plexiglas, das beschlagen war vor Feuchtigkeit. Julia rätselte, wie Weber es immer wieder fertigbrachte, damit unbemerkt über die Inselwege zu rattern, dem allgemeinen Fahrverbot zum Trotz. Gewiß, mit diesem Traktor hatten sie Leila gerettet, aber hatte Weber deshalb gleich eine Ausnahmegenehmigung bekommen? Möglich war’s, möglich war aber auch, daß man Weber einfach fahren ließ. Weil es eben der alte Weber war.
»Joh, do drinnen!« sagte Weber und zerrte an einem schweren Druckknopfverschluß. »Verdammich, nu’ gai du man auf!«
Jeanette, die es eilig hatte, wieder in die warme Gaststube zu kommen, zupfte an ihrer Ballonmütze und drängte sich an Weber vorbei. Ein spitzer Schrei - Jeanette sprang zur Seite.
»O Gott, das kann ich nicht!«
Hanno lachte. Er wußte, wie Weber seine Gänse zu transportieren pflegte: Er hackte ihnen mit einem Beil die Köpfe ab und band die weißen Hälse mit einem Strick zusammen. Dann befestigte er sie im Traktor an einer der Stangen, die das Dach stützten, und schon schaukelte die ganze Bagage kopflos durch die Gegend, die gelben Gänsefüße schwangen hilflos in der Luft. Weil er nicht wußte, wohin mit den Köpfen - eine für Mariannes Hunde bestimmte Delikatesse -, ließ er sie einfach im Traktor herumkollern. Kein Anblick für Assistentinnen der vergleichenden Literaturwissenschaft!
»Ja nu’, in kleen’ Filetstückchen is’ das nich’ zu haben hier!« brummte der alte Weber verlegen. Er habe die Frolleinchen nicht erschrecken wollen, versicherte er. »Sinn ja nu’ man keene Fischstäbchen!«
Hanno klopfte der bitterböse dreinblickenden Jeanette auf die Schulter, und der alte Weber zeigte Erbarmen. Er schickte die beiden Frauen ins Haus, und Jeanette schwor, daß sie ganz sicher Vegetarierin würde, ganz sicher - nach Weihnachten!
»Hast du gesehen, wie die armen Viehcher geguckt haben? Himmel, wie kannst du’s hier bloß aushalten! Und dann mit einem Tierarzt - der hat doch die ganze Zeit mit solchem Kroppzeug zu tun. Hast du gemerkt, wie der alte Weber riecht?«
Ja, natürlich hatte Julia bemerkt, wie der alte Weber roch: nach Arbeit eben, er war einer der Glücklichen, die noch welche hatten. Der alte Weber hatte vor zwei Jahren seine Gänseherde schon abschaffen wollen, denn es schien offensichtlich, daß mit Landwirtschaft kein Geld mehr zu machen war. Dann kamen Vertreter eines neuen Hotels auf der Nachbarinsel auf ihn zu, und seither lieferte Weber Gänse. Viele Gänse. Zur großen Insel und eben auch hier herauf zu Marianne Brant. Er war weit und breit der einzige Landwirt,
der es geschafft hatte, mit seinen Gänsen, Enten und Truthähnen. Die Nachfrage nach Geflügel war mehr oder weniger konstant und rettete Weber, während die Fixierung auf Rindvieh und Schweine in der DDR den anderen Bauern zum Verhängnis wurde. Es hatte Betriebe mit zwanzigtausend und mehr Schweinen gegeben. Kein Mensch brauchte in Zeiten des europäischen Marktes so viel und noch dazu relativ teures Fleisch. Massentierhaltung hatte zudem keinen guten Ruf. Also mußten die Betriebe sparen. Also sank die Qualität des Fleisches noch weiter. Und unter der Misere der Bauern litt natürlich auch Hanno, denn immer seltener wurde es, daß einer den Tierarzt rief...
Aber das konnte Julia ihrer Freundin unmöglich erklären, nicht so, auf die Schnelle, und schon gar nicht konnte sie darüber reden, daß auch Hanno in der Tat öfter »roch«, nach toten und nach lebendigen Tieren, nach Exkrementen, nach Blut, Tierschweiß oder Angst. Sie konnte Jeanette nicht erklären, daß dies keineswegs die schlechtesten Tage waren, weil es bedeutete, daß Hanno wieder gerufen worden war. Immer seltener war seine Praxis gefüllt. Die Leute überlegten zweimal, ob es sich lohnte, den Hund oder die Katze operieren zu lassen. In letzter Zeit sprach Hanno öfter von seinen Sorgen als von den Tieren, und wenn er sich zuversichtlich gab, fuhr seine Schwester scharf dazwischen und befahl ihm, sich nicht länger etwas vorzumachen. Hilda verwaltete die Medikamente in Hannos
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