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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Insel noch etwas zu jagen gab. Bilder unterschiedlicher Qualität schien ein mutwilliges Kind aufgehängt zu haben: In verschiedenen Höhen, kunterbunt durcheinander, hingen da Seestücke und Stilleben, deftige Holzschnitte neben zarten Bleistiftzeichnungen. Eine Meduse verführte einen täppischen Seemann, ein Engel geleitete ein Kind über eine Brücke, bei einer Seeschlacht schien der Pulverdampf aus dem Bild zu dringen. Pedantische Pastellzeichnungen machten den Betrachter mit den »Vögeln der Neuen Welt« bekannt.
    Sie tranken Bier, Bier und Rotwein. Der nun schon seit Tagen andauernde, hoffnungslose Schnürregen verlangte Gegenwehr. Und außerdem: Wann hatten sie sich schon zuletzt in dieser Runde getroffen, wann Zeit füreinander gefunden, bloß um zu reden? Willem Johannsen machte so etwas
nervös; er hatte Anne gestanden, daß nach dem letzten Mal, als er »in aller Ruhe« hatte reden sollen, seine erste Frau sich von ihm getrennt hatte. Seither war er mißtrauisch gegenüber allen angekündigten Gesprächen. Malte war aus anderen Gründen angespannt; er bemühte sich offenkundig, nicht allzu oft zu Mady hinüberzusehen, die Einigkeit mit ihrem Jörg demonstrierte. Malte hatte sie seit Wochen nicht mehr getroffen, seit jenem unglückseligen Abend in der Scheune. Die drei Karierten hatte sich seit dem bewußten Ereignis nicht mehr blicken lassen. Sie waren, so hatte es Erika allen erzählt, am nächsten Tag Hals über Kopf abgereist, wobei sie immer wieder etwas von »Entwicklungsland« und »die werden schon noch sehen« brabbelten, allerdings nicht ohne sich noch mit einigen für später »an einem angenehmeren Ort« zu verabreden. Julia beobachtete Hanno. Wie immer, wenn sie nicht allein waren, setzte er sich ihr gegenüber. Er suchte häufig ihren Blick, hielt diesem stand, und nur ein geübter Beobachter konnte erkennen, wie sich dann langsam Wärme in seine Augen schlich. Julia liebte diesen Blick, sie forderte ihn geradezu heraus. Und wenn sie so saßen, dann wußte sie, daß Hanno sie brauchte. Als sein Gegenüber. Seinen Schutz. Er war der erste Mann, den sie kennengelernt hatte, der keine Furcht vor Nähe verspürte. Nur vor Ferne. Sie hatten sich einander anvertraut; sie lebten jeder mit den Händen auf den Schultern des anderen. Freilich nicht nur dort! Hanno warf einen Blick von Julia zu den Toilettentüren, zog fragend eine Augenbraue hoch. In Julias Zehen begann es zu kribbeln.
    »Was seid ihr mir nur für Turteltäubchen!« raunte Jeanette Julia ins Ohr. »Nein, nicht Täubchen - Geier! Gefrä ßige, alles vertilgende, höchstgefährliche Geier, rrr... Und gleich kommst du und holst mich auch, so wie du schaust!«
    Sie kicherten. Wie alle Verliebten wollte Julia jeden in ihr
Glück miteinbeziehen. Ihr Glück! Zum ersten Mal gestand sie sich ein, daß sie glücklich war. Glücklich sein hieß: einverstanden sein mit dem Wie und dem Wo. Sie wollte an keinem anderen Ort als gerade an diesem sein, mit keinem anderen Menschen ihre Gegenwart teilen als mit diesen um sie herum und vor allem mit diesem einen, der sie hielt mit seinen Blicken.
    Zum ersten Mal war Glück und Dasein eins. War keine Flucht nötig, kein Aufbruch. Glück war bis dahin für Julia immer etwas in der Zukunft gewesen, eine Hoffnung, kein Versprechen. Vielleicht war Julia deshalb die andere deutsche Gesellschaft, die im Osten, nie so fremd und unverständlich erschienen wie vielen ihrer Kommilitoninnen. Sie hatte die Bücher von Günter de Bruyn, von Erich Loest, von Stefan Heym mit einer merkwürdigen, nicht ohne weiteres erklärbaren Anteilnahme gelesen. Denn diese Autoren, im Westen wegen ihrer nüchternen Knappheit und Schmucklosigkeit der Sprache nicht sonderlich geschätzt, waren doch auch von einem Unglück her aufgebrochen, allerdings nicht von einem individuellen. Nein, das Unglück, von dem sie schreibend fortwollten, war das historische, das kollektive. Und, überlegte Julia, sie schrieben vielmehr von einer nationalen Katastrophe her, denn der Nationalsozialismus war kein unvorhersehbarer Unglücksfall gewesen. Und ihr Aufbruch war ein gemeinsamer gewesen, ein »kollektiver«, wie das hier ständig hieß, und eine bessere Zukunft war ihr erklärtes Ziel, auf diese Utopie arbeiteten sie hin. Julia fand das verlockend, noch immer. Allerdings: Den Faktor Mensch, seine tägliche Korrumpierbarkeit und die Macht des Wohlstandes hatten sie womöglich übersehen; es wurde nichts aus dem sozialistischen

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