Ostwind (German Edition)
Ostwind: »Aber er hat keine mehr!«
Damit drehte er sich um und stapfte davon. Mika sah ihm nach. Wie gerne hätte sie ihm jetzt etwas gesagt, etwas, das ihn versöhnte, aber sie brachte es nicht fertig. Sie musste zuerst ihre eigenen Gefühle ordnen.
Dann tat Mika etwas, von dem sie selbst nicht gedacht hatte, dass sie es tun würde. Sie lief ins Gutshaus und rief von dem alten Telefon im Flur ihre Mutter an.
Als Elisabeth an ihr Handy ging, stand sie gerade an einem Fenster in einem großen, noch leeren Auditorium. Hinter dem Podium hing ein großes Transparent: International Conference – Modern Trends in Theoretical Physics , stand darauf. Sie war ein bisschen überrascht, als sie Mikas Stimme hörte. »Hallo, Schatz, wie lauft es denn mit Lernen?«, fragte sie in ihr Handy.
Mika holte tief Luft. »Mama? Also, ich wollte dich eigentlich was fragen. Wenn man etwas gerade gelernt hat, sich aber nicht sicher ist, ob es reicht, um …«
In diesem Moment füllte sich hinter Elisabeth langsam der Saal mit Wissenschaftlern aus aller Herren Länder. Ein Gong ertonte.
»Schatz, die Primzahlen rufen«, unterbrach Elisabeth ihre Tochter. »Und naturlich schaffst du das. Du schaffst alles, was du dir in den Kopf setzt! Also … Tschus.«
»Tschus«, erwiderte Mika lahm. Für ihren Geschmack war das kein wirklicher Rat, sondern nur Worte. Leicht dahingesagte Worte.
Niedergeschlagen ging Mika auf ihr Zimmer. Hatte sie sich von ihrer Mutter tatsächlich mütterlichen Rat erhofft? Was für eine dumme Idee! Solange es kein physikalisches Problem war, musste sie sich die Antworten auf ihre Fragen wohl selbst geben.
13. Kapitel
In der Reithalle saß eine Gruppe Reitschülerinnen auf ihren Pferden aufgereiht vor Maria Kaltenbach. Michelle auf Weingraf thronte neben ihr. Es war der Tag vor den Kaltenbach Classics, die Generalprobe.
»Ja, Kinder! Morgen wird uns zwar leider nur Michelle vertreten, aber heute sollt ihr alle die Chance haben, den offiziellen Parcours auszuprobieren. Wer will den Anfang machen?«, fragte Frau Kaltenbach. Sofort schossen alle Arme der Reitschülerinnen gleichzeitig nach oben. Diese Gelegenheit wollte sich keine der jungen Reiterinnen entgehen lassen.
Sam interessierte die Generalprobe reichlich wenig. Er sammelte vor der Halle die Pferdeapfel in eine Schubkarre. Seit gestern fühlte er sich unglücklich und auch zornig. Obwohl er die Sache mit Mika für sich bereits abgehakt hatte. Denn Mika schien ja sowieso alles egal. Und in einer Woche würde sie wieder in der Großstadt sein. Ihn, Gut Kaltenbach und Ostwind würde sie bald vergessen haben.
Während er missmutig die Schubkarre packte, kam die kleine Tinka eilig auf ihrem Schecken-Pony angetrabt. »Oh Mann, Archibald hat sich in eine Kuh verliebt und ich hab ihn einfach nicht von der Koppel gekriegt …«, rief sie hektisch.
Sam lächelte gutmütig. Ja, Tinka hatte die wahre Leidenschaft. Sie würde ihren Archibald niemals im Stich lassen! Bereitwillig schob Sam das große Tor für sie auf. »Keine Panik. Die haben noch nicht angefangen«, sagte er. Dann rief er in die Halle: »Tor frei!«
Das Pony trippelte sogleich eilig an ihm vorbei und Sam schob das Tor wieder zu. Nun waren also alle Kaltenbachschülerinnen beisammen. Als er sich jedoch umdrehte, entdeckte er in der Ferne ein weiteres Pferd.
Sam kniff die Augen zusammen. Erst konnte er im Gegenlicht nichts genau sehen, doch dann erkannte er die langen roten Haare. Also doch! Sams Herz begann schneller zu schlagen. Und obwohl ihn maßlose Freude überflutete, hatte er plötzlich auch einen Kloß im Hals.
Sam schob das Tor wieder auf.
»Dann zeigt euch jetzt Michelle noch einmal, wie es ge–«, sagte gerade Maria Kaltenbach. Doch weiter kam sie nicht. Denn Sam rief mit unverhohlenem Stolz in der Stimme: »Tor frei!«
»Wer kommt denn jetzt noch?«, wunderte sich Frau Kaltenbach.
Aller Augen richteten sich nun auf das Tor, das quietschend aufgeschoben wurde. Ein Madchen auf einem dunklen Hengst ritt langsam in die Halle. Den Pferdemadchen klappte die Kinnlade herunter, Maria Kaltenbachs Gesichtszuge entgleisten. Alle starrten auf Mika, die auf Ostwind direkt vor ihrer Großmutter zum Stehen kam. Maria Kaltenbach wich unwillkurlich einen Schritt vor dem Hengst zuruck.
»Was soll das werden?«, fragte sie streng.
Mikas unsicherer Blick suchte Sam, der zum Glück sofort neben ihr auftauchte. Maria schaute ihn fassungslos an. »Samuel?!«
»Frau Kaltenbach, bitte … ich kann
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