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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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umzudrehen und spürte einen scharfen Schmerz im Arm, als ob ihm jemand einen nadelspitzen Dolch ans Fleisch drückte. Die tiefere Dunkelheit des Gebirgspasses legte sich über ihn, hüllte ihn ein. Er wehrte sich, ohne auf das qualvolle Stechen in seinen Armen zu achten, und schaffte es schließlich, sich so weit loszumachen, daß er den Kopf drehen konnte.
    In dem Spalt hinter ihm, eingefaßt von den Felsenhängen, aber meilenweit entfernt, lag ein Feld aus funkelndem goldenen Licht. Er blickte aus der Düsternis hinaus, und in der Ferne brannte es wie ein Präriefeuer.
    Die Stadt. Der Ort, wo er das finden würde, wonach er so lange gehungert hatte…
    Die Hände ergriffen ihn und rissen ihn wieder herum, stießen ihn weiter. Er konnte noch immer nicht erkennen, wer ihn gepackt hielt, aber er wußte, daß sie ihn in den Schatten hinab schleppten, in die Leere, an einen Ort, wo sogar die Erinnerung an die goldene Stadt zuletzt verblassen würde. Er kämpfte gegen seine Häscher an, aber sie hatten ihn fest im Griff.
    Sein Traum, seine einzige Hoffnung, entschwand. Er wurde hilflos hinunter in ein schwarzes Nichts befördert…
     
    »Orlando! Orlando! Du hast einen Albtraum. Wach auf.«
    Er rang sich empor, der Stimme entgegen. Seine Arme taten weh – sie hatten ihn! Er mußte kämpfen! Er mußte …
    Er schlug die Augen auf. Schwach erhellt vom Licht aus dem Fenster hing das Gesicht seiner Mutter über ihm wie ein Dreiviertelmond.
    »Schau nur, was du gemacht hast.« Sorge kämpfte in ihrer Stimme mit Ärger; Sorge gewann, aber nur knapp. »Du hast deine ganzen Sachen auf den Boden geschmissen.«
    »Ich … ich hab schlecht geträumt.«
    »Was du nicht sagst. Es ist dieses Netz, den lieben langen Tag. Kein Wunder, wenn du Albträume hast.« Sie seufzte, dann bückte sie sich und fing an, die Sachen aufzuheben.
    Ein leiser Groll regte sich unter dem noch nachwirkenden Grauen. »Du denkst, das Netz ist der einzige Grund, daß ich Albträume habe?«
    Sie stockte, einen Haufen Pharmapflaster in der Hand wie gefallene Blätter. »Nein«, sagte sie. Ihre Stimme war angespannt. »Nein, natürlich nicht.« Sie legte die Pflaster auf seinen Nachttisch und bückte sich, um die anderen Sachen aufzuheben, die er hingeworfen hatte. »Aber ich denke trotzdem, daß es nicht gut für dich sein kann, ständig an dieser … dieser Maschine zu hängen.«
    Orlando lachte. Es war ein böses Lachen, und das sollte es auch sein. »Tja, jeder braucht ein Hobby, Vivien.«
    Sie machte ein pikiertes Gesicht, dabei war es die Idee seiner Eltern gewesen, sie mit dem Vornamen anzureden, nicht seine. »Sei nicht bitter, Orlando.«
    »Bin ich nicht.« Und er war es wirklich nicht, stellte er fest. Nicht wie sonst manchmal. Aber er war wütend und erschrocken, und er wußte nicht recht, warum. Es hatte etwas mit dem Albtraum zu tun, dessen Einzelheiten sich bereits verflüchtigten – ein Gefühl, daß ihm damit noch etwas entglitt. Er holte tief Luft. »Tut mir leid. Ich bin bloß … es war ein gruseliger Traum.«
    Sie stellte seinen Infusionsständer wieder aufrecht hin – er war durch Orlandos Umsichschlagen an die Wand gekippt – und sah nach, ob die Nadel noch drinsteckte und gut befestigt war. »Doktor Vanh sagt, wir können Ende der Woche damit aufhören. Das ist doch schön, nicht wahr?« Es war ihre Art, sich zu entschuldigen. Er versuchte, ihr entgegenzukommen.
    »Ja, das ist schön.« Er gähnte. »Ich schlaf jetzt wieder. Tut mir leid, daß ich so einen Radau gemacht hab.«
    Sie zog ihm die Decke bis zur Brust hoch. Einen Moment lang legte sie ihre kühle Hand auf seine Wange. »Wir… ich war bloß beunruhigt. Aber jetzt keine Albträume mehr! Versprochen?«
    Er rutschte nach unten, fand die Fernbedienung und brachte den Oberteil des Bettes in eine bequemere Kippstellung. »Okay, Vivien. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Orlando.« Sie zögerte kurz, dann gab sie ihm einen Kuß, bevor sie hinausging.
    Einen Augenblick überlegte er, ob er seine Nachttischlampe anmachen und lesen sollte, aber entschied sich dann dagegen. Das Wissen, daß seine Mutter im Nebenzimmer seine Unruhe gehört hatte, machte die Dunkelheit ein bißchen erträglicher als gewöhnlich, und außerdem mußte er nachdenken.
    Zum Beispiel über die Stadt. Jene aberwitzige Erscheinung, die offenbar keinerlei Spur in Mittland hinterlassen hatte. Sie hatte sich genauso in seine Träume eingeschlichen wie vorher in Thargors Welt. Warum kam ihm etwas, das wahrscheinlich

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