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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Sollen wir jetzt einander trauen oder nicht? Was soll ich von jemand halten, die mir nicht mal ihr Gesicht zeigt?«
    »Was hättest du davon? Ich habe meine Gründe, Renie, und ich bin weder dir noch sonst jemandem eine Erklärung schuldig.«
    »Aber du traust mir jetzt?«
    Martines Lachen war grimmig. »Ich traue niemandem. Aber ich glaube, daß du die bist, für die du dich ausgibst, und ich habe keinen Grund, an deiner Geschichte zu zweifeln.«
    Renie blickte !Xabbu an, dessen Miene seltsam versunken wirkte. Als ob er ihren Blick spürte, öffnete er die Augen und zuckte leicht mit den Achseln. Renie unterdrückte ein Seufzen. Martine hatte recht; sie konnten an diesem Punkt beide nicht viele Vertrauensbeweise erbringen. Entweder sie brach die Verbindung ab, oder sie schloß die Augen, hielt sich die Nase zu und sprang.
    »Ich denke, ich muß in TreeHouse reinkommen«, sagte sie.
    Das kam für die andere offensichtlich unerwartet. »Was soll das heißen?«
    »Weißt du bestimmt, daß diese Leitung sicher ist?«
    »Ja. Ein Sicherheitsrisiko kann nur auf deiner Seite bestehen.«
    Renie schaute sich um. Es war niemand in Sicht, aber sie beugte sich dennoch dicht an den Bildschirm. »Ich denke, ich muß in TreeHouse reinkommen. Vor ihrem Tod machte Susan mir eine Mitteilung über einen ihrer alten Häckerfreunde – offenbar meinte sie, er hätte Informationen, die uns nützen könnten. Er heißt Murat Sagar Singh, aber er wird auch ›der Einsiedlerkrebs‹ genannt. Ich denke, daß ich ihn über TreeHouse finden kann.«
    »Und du möchtest, daß ich dir helfe, dort hineinzukommen?«
    »Was bleibt mir denn übrig?« Jäh aufwallender Schmerz und Zorn zwang sie, ihre Worte sorgfältig abzuwägen. »Ich gehe einfach voran, so gut ich kann. Etwas Besseres fällt mir nicht ein. Ich denke, mein Bruder ist so gut wie tot, wenn ich keine Antworten bekomme. Und jetzt kann ich ihn nicht mal… nicht mal…« Sie holte zittrig Atem. »Jetzt kann ich ihn nicht mal mehr besuchen.«
    Die Stimme der geheimnisvollen Frau klang mitfühlend. »Entendu, Renie. Ich denke, ich kann dir helfen.«
    »Vielen Dank. O Gott, vielen Dank.« Ein Teil von ihr stand daneben und schämte sich für die weinerliche Dankbarkeit. Sie hatte immer noch keine Ahnung, wer diese gesichtslose Frau war, aber sie vertraute ihr in einem Maße, wie sie wenigen anderen je vertraut hatte. Sie wechselte zu einem sichereren Thema über. »Hast du etwas über Atasco herausgefunden?«
    »Nicht viel, fürchte ich. Er unterhält, soweit ich sehen kann, keine Verbindungen zu den Leuten, denen der Club gehört, von dem du sprachst, Mister J’s, und spielt auch sonst keine irgendwie bedeutende Rolle im Netz. Er scheint sehr zurückgezogen zu leben.«
    Renie schüttelte den Kopf. »Dann wissen wir im Grunde nicht, ob Atasco und sein Buch irgendwas mit der Sache zu tun haben.« !Xabbu hatte eine Schnur aus seiner Tasche gezogen und zwischen seinen ausgestreckten Fingern ein Fadenspiel aufgespannt. Er betrachtete es versonnen.
    »Nein. Hoffen wir, daß wir aus diesem Singh etwas Brauchbares herausholen können. Ich werde sehen, ob ich uns irgendwie in TreeHouse hineinbringen kann. Wenn es mir gelingt, wirst du dann heute nach der Arbeit verfügbar sein?«
    Renie fiel der Termin im Büro der Rektorin ein. »Ich muß nach dem Unterricht noch etwas erledigen, aber damit ich müßte um 17:00 Uhr meiner Zeit fertig sein.«
    »Ich rufe dich an. Und vielleicht spricht dein Freund das nächste Mal auch mit mir.« Martine schaltete sich aus.
    !Xabbu blickte von seiner Fadenfigur auf den leeren Bildschirm und wieder zurück.
    »Na?« fragte Renie. »Was denkst du?«
    »Renie, du sagtest einmal, du wolltest mir erklären, was ein ›Geist‹ ist.«
    Sie klappte ihr Pad zu und wandte sich ihm zu. »Ein Geist? Du meinst die VR-Sorte?«
    »Ja. Du hast einmal davon gesprochen, aber es nie erklärt.«
    »Na ja, das ist so ein Gerücht – nicht einmal das. Ein Mythos.« Sie lächelte müde. »Darf ich das noch sagen?«
    Er nickte. »Sicher.«
    »Einige Leute haben behauptet, daß man, wenn man genug Zeit im Netz verbringt oder wenn man stirbt, während man online ist …« Sie runzelte die Stirn. »Das hört sich ziemlich abstrus an. Sie sagen, daß manchmal Leute im Netz drinbleiben. Nachdem sie gestorben sind.«
    »Aber das ist nicht möglich.«
    »Nein, es ist nicht möglich. Warum fragst du?«
    Er bewegte die Finger und veränderte die Fadenfigur. »Diese Martine. Irgend etwas an ihr

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