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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wenigstens wissen, wo du bist?«
    Nach längerem Schweigen erschien in einer Ecke des Zimmers ein großes flaches Rechteck. Auf dem darauf gemalten Gesicht spielte ein weltberühmtes geheimnisvolles Halblächeln. »Geht’s so?« fragte die Mona Lisa.
    Renie nickte. In Martines Wahl mochte ein leiser Spott mitschwingen, aber wenigstens hatten jetzt alle etwas zum Anschauen. Sie wandte sich wieder dem alten Mann mit dem Turban zu. »Du sagtest ›zu spät‹. Zu spät wofür?«
    Der Alte lachte keckernd. »Du bist ein richtiger kleiner Napoleon, was? Oder vielleicht sollte ich sagen: ein richtiger kleiner Tschaka Zulu?«
    »Ich bin dreiviertel Xhosa. Komm endlich zur Sache. Oder hast du Angst, mit uns zu reden?«
    Singh lachte wieder. »Angst? Ich bin zu alt, um noch Angst zu haben. Meine Kinder reden kein Wort mit mir, und meine Frau ist tot. Also was könnten die mir tun, als mir die irdische Mühe und Plage vom Hals zu schaffen?«
    »Die«, sagte Renie. »Wer sind ›die‹?«
    »Die Schweine, die alle meine Freunde umgebracht haben.« Das Grinsen des alten Mannes verschwand. »Und Susan war bloß die letzte. Deshalb ist es zu spät – weil meine Freunde alle hinüber sind. Nur ich bin noch übrig.« Er deutete mit einer ausladenden Geste auf sein trostloses Zimmer, als ob es der letzte Platz auf Erden und er der einzige Überlebende der Menschheit wäre.
    Vielleicht war es für Singh ja tatsächlich der letzte Platz auf Erden, dachte Renie. Sie taute innerlich ein wenig auf, aber sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie den Alten mochte oder nicht. »Hör zu, wir brauchen unbedingt Informationen. Hatte Susan recht? Weißt du etwas über die Stadt?«
    »Immer hübsch der Reihe nach, Werteste. Ich erzähl’s auf meine Weise.« Er spreizte seine krummen Finger auf dem Schoß seines Bademantels. »Vor ungefähr einem Jahr ging’s los. Es war nur noch ein halbes Dutzend von uns übrig – Melanie, Dierstroop, noch ein paar –, na ja, die Namen von alten Häckern werden euch nichts sagen. Jedenfalls war noch ein halbes Dutzend übrig. Wir kannten uns alle schon seit Jahren – Komo Melanie und ich hatten an einigen der frühen Revisionen von TreeHouse gebastelt, und Fanie Dierstroop und ich hatten zusammen studiert. Felton, Misra und Sakata hatten alle mit mir bei Telemorphix gearbeitet. Einige davon gehörten zur Stammannschaft von TreeHouse, nur Dierstroop kam nie dazu, weil er uns für einen Haufen linker New-Age-Spinner hielt, und Sakata trat wegen irgendwelcher Satzungsdifferenzen aus. Aber wir blieben alle in Kontakt, mehr oder weniger. Wir hatten alle Freunde verloren – in meinem Alter ist das ein ziemlich geläufiger Schmerz –, deshalb fühlten wir uns vermutlich ein bißchen näher als die ganze Zeit vorher, einfach weil der Kreis kleiner wurde.«
    »Bitte«, warf die Mona Lisa ein, »eine Frage. Du kanntest diese Leute aus unterschiedlichen Zusammenhängen, non? Wenn du also sagst, ›ein halbes Dutzend von uns‹, dann meinst du ein halbes Dutzend von … was?«
    Renie nickte. Sie wollte ebenfalls den verbindenden Faden wissen.
    »Herrgott, wartet’s einfach ab.« Singh grollte, aber eigentlich schien er die Aufmerksamkeit zu genießen. »Ich komm schon noch drauf. Natürlich, zu dem Zeitpunkt war mir nicht klar, daß wir nur noch zu sechst waren, weil ich die Verbindung nicht sah. Ich hatte noch andere Freunde, sicher, so ein Paria war ich nun auch wieder nicht. Nein, ich hab den Zusammenhang nicht gesehen und folglich auch nicht drüber nachgedacht. Bis sie anfingen zu sterben.
    Dierstroop kam als erster dran. Schlaganfall, hieß es. Ich war traurig, aber ich dachte mir nichts dabei. Fanie hatte schon immer viel getrunken, und ich hatte gehört, er wäre dick geworden. Es klang so, als ob er der richtige Kandidat dafür wäre.
    Als nächster starb Komo Melanie, auch ein Schlaganfall. Dann traf’s Sakata – sie fiel in ihrem Haus bei Niigata die Treppe runter. Es war wie ein Fluch, in wenigen Monaten drei alte Genossen zu verlieren, aber ich hatte keinen Anlaß, Verdacht zu schöpfen. Aber Sakata hatte einen Gärtner, der ihr Grundstück pflegte, und der schwor, er hätte um die Zeit ihres vermutlichen Todes zwei schwarz gekleidete Männer aus dem Tor fahren sehen, und auf einmal sah es nicht mehr ganz so aus, als ob eine alte Gearberaterin einen simplen Unfall gehabt hätte. Soweit ich weiß, hat die japanische Polizei die Akte noch nicht geschlossen.
    Felton starb einen Monat später. In der

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