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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Londoner Underground umgekippt. Herzversagen. Es gab eine Gedenkfeier für ihn hier im Gründerhügel. Aber ich fing an, mir Gedanken zu machen. Vijay Misra rief mich an – auch er hatte sich Gedanken gemacht, aber anders als ich hatte er zwei und zwei zusammengezählt und war auf etwas sehr Spannendes gekommen. Leute wie Dierstroop kannte ich schon ewig, und deshalb hatte ich ganz vergessen, daß wir, ich und Misra und die vier, die gerade umgekommen waren, nur ein einziges Mal im Leben alle zusammengearbeitet hatten. Es hatten auch andere daran gearbeitet, aber wir sechs waren die letzten noch Lebenden gewesen. Und während Misra und ich darüber sprachen, wurde uns klar, daß wir zwei als einzige übrig waren. Das war nicht gerade ein gutes Gefühl.«
    Renie beugte sich vor. »Übrig wovon?«
    »Ich komm schon noch drauf, zum Donnerwetter!«
    »Schrei mich nicht an!« Renie drohte völlig die Fassung zu verlieren. »Hör zu, ich bin an meinem Arbeitsplatz rausgeflogen, aber ich benutze immer noch die Anlage der Hochschule. Mir kann jeden Moment jemand die Polizei auf den Hals hetzen, Herrgott nochmal. Jeder, den ich frage, macht ein Mordstheater und tut furchtbar geheimnisvoll.«
    Durch die Virtualitätsapparate hindurch fühlte sie, wie !Xabbu sie am Arm berührte, eine freundschaftliche Ermahnung, ruhig zu bleiben.
    »Tja«, sagte Singh nun wieder ganz fröhlich, »wer bettelt, kann nicht wählerisch sein, Werteste.«
    »Ist dieser Ort sicher?« fragte Martine plötzlich.
    »Wie ein schalldichter Bunker mitten in der Sahara.« Singhs Lachen ließ eine Zahnlücke sehen. »Ich muß es wohl wissen, schließlich hab ich das Sicherheitsgear für diesen ganzen Laden geschrieben. Selbst wenn an einer von euern Leitungen ein Datenzapfer wäre, würde ich das wissen.« Er lachte wieder, ein stilles, selbstzufriedenes Schnauben. »Na schön, ihr habt gesagt, ich soll zur Sache kommen, also komm ich zur Sache. Misra war ebenfalls Sicherheitsspezialist… aber es hat ihm nichts genützt. Sie haben ihn auch gekriegt. Selbstmord – eine hohe Überdosis seines Epilepsiemedikaments. Aber ich hatte erst zwei Abende vorher mit ihm geredet, und er hatte keine Depressionen, überhaupt kein Gedanke an Selbstmord. Angst ja – wir hatten begriffen, daß unsere Chancen sich laufend verschlechterten. Und als auch er tot war, wußte ich es mit Sicherheit. Sie brachten jeden um, der etwas über Otherland wußte.«
    »Otherland?« Zum erstenmal, seit Renie sie kennengelernt hatte – sofern das das richtige Wort war –, hörte Martine sich wirklich verblüfft an. »Was hat das mit Otherland zu tun?«
    Eine kalte Schlange kroch Renies Rückgrat entlang. »Wieso? Was ist das?«
    Der alte Mann wackelte zufrieden mit dem Kopf. »Aha, auf einmal seid ihr interessiert! Auf einmal wollt ihr zuhören!«
    »Wir hören dir die ganze Zeit zu, Herr Singh, sehr aufmerksam.« !Xabbu sagte es leise, aber mit ungewöhnlichem Nachdruck.
    »Langsam«, verlangte Renie. »Was ist dieses Otherland? Hört sich an wie ein Vergnügungspark.«
    Das Gemälde drehte sich, und das blasse Gesicht der Mona Lisa blickte sie an. »In gewisser Weise ist es das, jedenfalls den Gerüchten zufolge. Otherland – oder Anderland – ist noch weniger bekannt als TreeHouse. Es scheint eine Art Tummelplatz für reiche Leute zu sein, eine Simulation im großen Maßstab. Das ist alles, was ich gehört habe. Es ist in Privatbesitz und wird streng unter Verschluß gehalten, deshalb gibt es kaum Informationen darüber.« Sie schwenkte wieder zu Singh herum. »Bitte sprich weiter.«
    Er nickte, als würde er endlich die ihm gebührenden Ehren bekommen. »Wir wurden über Telemorphix Südafrika angeheuert. Ich war damals für die tätig, beinahe dreißig Jahre ist das jetzt her. Dierstroop leitete das Projekt eigentlich, aber er ließ mich die Leute aussuchen, und aus dem Grund kamen Melanie und die andern dazu. Wir sollten eine Sicherheitsinstallation für irgendein Unternehmensnetzwerk bauen – pst, pst, alles streng geheim, Geld spielt keine Rolle –, oder jedenfalls dachte ich das. Der Kunde war irgendein Riesenkonzern, das war alles, was wir wußten. Erst im Laufe der Arbeit stellten wir fest, daß es eigentlich ein VR-Knoten war, beziehungsweise eine Kette von VR-Knoten an parallelen Superrechnern, das größte, schnellste VR-Netz, das je ein Mensch gesehen hatte. Das Konsortium, das dahinterstand, nannte sich GB. Das war alles, was wir über die Leute wußten. Sie waren GB,

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