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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wurzellose Müdigkeit in seinen Knochen wie auch in seinem Gehirn.
    »Sieh mal da!« sagte Gally und streckte die Hand aus. Unweit von ihnen stieg ein riesiges fliegendes Schiff von ähnlicher Form wie die Prunkschiffe, die sie auf dem Großen Kanal gesehen hatten, mit baumelnden Schlepptauen langsam über die Turmspitzen in den Abendhimmel empor. Hunderte von dunklen Gestalten huschten auf seinen Decks und in der komplizierten Takelage herum. Auf seiner ganzen Länge leuchteten Laternen, Dutzende von hell brennenden Punkten. Das Schiff wirkte beinahe wie ein lebendes, dem Gewölbe des Nachthimmels entsprungenes Gestirn.
    »Es ist wunderschön.« Paul sah nieder. Gally hatte große verzückte Augen, und Paul empfand so etwas wie Stolz, daß er diesen Jungen gerettet hatte, ihn sicher aus … aus … wo hatte er ihn rausgeholt? Es war zwecklos – die Erinnerung wollte nicht kommen. »Schade, daß Kluru das nicht mehr sehen kann«, fuhr er fort. »Aber vermutlich ist ihm das alles ganz vertraut.« Kluru vom Fischervolk hatte Gally vom Basar zurückgebracht und sich dann auf den Heimweg in sein Dorf am Kanal gemacht, wohl in dem Gefühl, seine Pflicht getan zu haben, nachdem Paul andere Erdenmenschen gefunden hatte. »Trotzdem, er war gut zu uns, und mir tat es leid, ihn gehen zu sehen.«
    »Er war nur ein Nimbor«, sagte Gally geringschätzig.
    Paul blickte den Jungen verwundert an, der immer noch hingerissen das Luftschiff bestaunte. Die Bemerkung paßte gar nicht zu ihm und klang so, als ob bestimmte Einstellungen der Welt um ihn herum auf Gally übergegriffen hätten.
    »Wind aus der Wüste heute abend.« Professor Bagwalter ließ einen dünnen Rauchfaden zwischen den Lippen entweichen und propfte sich dann wieder seine Zigarre in den Mundwinkel. »Morgen wird es noch heißer werden.«
    Paul konnte sich das kaum vorstellen. »Ich möchte nicht, daß der Junge zu lange auf bleibt. Meinen Sie, Herr Brummond wird bald hier sein …?«
    Der Professor zuckte mit den Schultern. »Bei Hurley kann man das nie sagen.« Er zog seine Taschenuhr hervor und warf einen Blick darauf. »Bis jetzt erst eine Viertelstunde Verspätung. Ich würde mir keine Gedanken machen.«
    »Es fliegt weg!« sagte Gally. Das große Luftschiff verschwand in der zunehmenden Dunkelheit. Nur die Lichter waren noch zu sehen, helle, immer kleiner werdende Stecknadelköpfe.
    Bagwalter lächelte den Jungen an und wandte sich dann zu Paul um. »Der Kleine erzählt, Sie hätten ihn aus einer Gegend gerettet, die Achtfelder heißt oder so ähnlich. War das noch auf der Erde?«
    »Ich weiß nicht. Wie gesagt, mein Gedächtnis ist schlecht.«
    »Der Junge meint, es sei nur ein Stück den Großen Kanal hinunter, aber ich habe hier noch nie von einem solchen Ort gehört, und ich bin viel herumgekommen.« Seine Stimme war unverfänglich, aber die wachsamen Augen musterten Paul wieder durchdringend. »Er hat auch etwas von einem Schwarzen Ozean erzählt, und ich kann Ihnen versichern, daß es den hier auf keinen Fall gibt.«
    »Ich weiß es nicht.« Paul merkte, daß er lauter wurde, aber er konnte sich nicht mehr bremsen. Gally drehte sich am Balkongeländer mit erschrockenen Augen zu ihm um. »Ich kann mich schlicht nicht erinnern! An nichts!«
    Bagwalter nahm seine Zigarre aus dem Mund und betrachtete die glühende Spitze, bevor er Paul wieder in die Augen sah. »Kein Grund zur Aufregung, Verehrtester. Ich bin ein bißchen penetrant, ich weiß. Es ist bloß deswegen, weil vor wenigen Tagen ein paar ziemlich merkwürdige Burschen im Club waren und Fragen stellten …«
    »Aufgepaßt, da unten!«
    Etwas sauste zwischen sie und schlug laut klatschend auf dem Balkonboden auf. Es war eine Strickleiter, und sie schien aus dem Nichts herabgefallen zu sein. Erschrocken schaute Paul nach oben. Ein großer Schatten schwebte über ihnen wie eine dunkle Wolke an einem ansonsten klaren Himmel. Ein Kopf lugte zu ihnen herunter.
    »Hoffe, ich hab niemand getroffen! Ziemliches Kunststück, dieses Ding ruhig zu halten.«
    »Es ist Herr Brummond!« rief Gally begeistert. »Und er hat auch ein fliegendes Schiff!«
    »Kommt rauf!« schrie Brummond. »Dalli, dalli, wir haben’s eilig!«
    Flink wie eine Spinne kraxelte Gally die Leiter hinauf. Paul zögerte, denn ihm war noch nicht ganz klar, worauf das hinauslief.
    »Nur zu«, sagte der Professor freundlich. »Es hat keinen Zweck – wenn Hurley sich mal was in den Kopf gesetzt hat, bringt ihn nichts mehr davon ab.«
    Paul packte

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