Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
zur Kenntnis nehmen – und dieser Jemand war gewöhnlich sie.
Sie seufzte. »Steh auf, du alter Querkopf. Jeremiah wird jeden Augenblick hier sein.«
»Mit so ’nem Hurenbock geh ich nirgends hin.«
»Oh, zum Donnerwetter!« Vornübergebeugt zog sie endlich den Riemen fest über den sperrigen Koffer und befestigte ihn an dem Magnetstreifen. »Wenn du nur eine dumme Bemerkung zu Jeremiah machst, nur eine einzige dumme Bemerkung, dann lasse ich dich und deinen dämlichen Koffer am Straßenrand stehen.«
»Was unterstehst du dich, so mit deinem Vater zu reden?« Er blickte sie mit gesenkter Stirn finster an. »Der Kerl hat mich angegriffen. Der wollt mich erwürgen.«
»Er hat mitten in der Nacht nach mir gesucht, und ihr beide habt euch geschlagen. Du warst es, der losging, ein Messer holen.«
»Allerdings.« Long Josephs Gesicht hellte sich auf. »Hoho, allerdings. Und den hätt ich sauber abgestochen. Der wär nich noch mal bei mir rumgeschlichen.«
Renie seufzte wieder. »Merk dir gefälligst, daß er uns einen großen Gefallen tut. Ich krieg nur mein halbes Gehalt, solange ich suspendiert bin, Papa, erinnerst du dich? Wir können also von Glück sagen, wenn wir überhaupt irgendwo hinkönnen. Eigentlich soll niemand in dem Haus wohnen, bis es verkauft wird. Begreifst du das? Jeremiah könnte Schwierigkeiten bekommen, aber er will mir helfen, die Leute aufzuspüren, die Susan überfallen haben, und deshalb tut er das für uns.«
»Okay, okay.« Long Joseph winkte ab, um anzudeuten, daß sie wie üblich seine gute Kinderstube unterschätzte. »Aber wenn er nachts in mein Zimmer geschlichen kommt und mit mir Faxen machen will, hau ich ihm die Rübe runter.«
> »Der ist ganz neu.« Jeremiah deutete auf den Maschendrahtzaun, der jetzt das Haus umgab. »Der Neffe der Frau Doktor beschloß, die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern. Er meint, damit wird er das Anwesen leichter verkaufen können.« Seine geschürzten Lippen machten deutlich, was er von diesen ausländischen Besitzern hielt. »Somit dürftet ihr nichts zu befürchten haben. Sehr hightech, dieses Sicherheitssystem. Das Beste vom Besten.«
Renie hatte im stillen ihre Zweifel, daß die Leute, mit denen sie es offenbar zu tun hatten, von einem häuslichen Sicherheitssystem, und sei es das Beste vom Besten, auch nur im mindesten aufzuhalten waren, aber behielt sie für sich. Besser als die Unterkunft war es allemal.
»Vielen Dank, Jeremiah. Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar wir sind. Wir haben im Grunde weder Freunde noch Angehörige, zu denen wir gehen könnten. Papas ältere Schwester ist vor zwei Jahren gestorben, und seine andere Schwester lebt in England.«
»Die, pff, die würde einem nich mal umsonst den Rücken kratzen«, grummelte Long Joseph. »Außerdem würde ich von der sowieso nix nehmen.«
Das Sicherheitstor schloß sich mit einem Zischen hinter dem Wagen, als sie in die Auffahrt einfuhren. Renies Vater betrachtete das Haus mit griesgrämiger Verwunderung. »Meine Herrn, sieh sich einer das an. Das is kein Haus, das is’n Hotel. Nur Weiße haben so’n großes Haus – da brauchste die Schwarzen unter dir, um dir so ’nen Kasten leisten zu können.«
Jeremiah trat hart auf die Bremse, so daß sie ein gutes Stück über den Kies schlidderten. Er drehte sich auf dem Fahrersitz um und starrte Long Joseph mit grimmig verkniffenem Gesicht an. »Du redest totalen Blödsinn, Mann. Du hast ja keine Ahnung.«
»Da brauch ich keine Ahnung zu, um zu sehn, daß das’n Afrikaanderpalast is.«
»Doktor Van Bleeck war immer gut zu allen Menschen.« Tränen schossen Jeremiah Dako in die Augen. »Wenn du weiter solche Sachen sagst, kannst du dich nach einer andern Bleibe umsehen.«
Renie wand sich innerlich vor Verlegenheit und Zorn. »Papa, er hat recht. Du redest wirklich Blödsinn. Du hast Susan nicht gekannt, und du weißt gar nichts über sie. Wir dürfen in ihr Haus kommen, weil sie meine Freundin war und weil Jeremiah uns freundlicherweise läßt.«
Long Joseph erhob seine Hände mit der Unschuld eines Märtyrers. »Herrje, seid ihr immer gleich empfindlich. Ich hab doch gar nix gegen eure Frau Doktor gesagt, ich hab bloß gesagt, daß es ein Weißenhaus is. Du bist selber schwarz – erzähl mir bloß nich, du denkst, die Weißen müßten so hart arbeiten wie ein Schwarzer.«
Jeremiah durchbohrte ihn einen Moment lang mit seinem Blick, dann wandte er sich ab und fuhr den Wagen das letzte Stück bis vor die Stoep.
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