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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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paßt.«
    Er fuhr mit dem Rollstuhl aus dem Weg, und sie eilte den Flur entlang. Er hatte recht. Sie hatten nicht viel Zeit, wenn sie nicht riskieren wollte, daß ihre Mutter bei Portia zuhause anrief, um sie an die Erbsen zu erinnern. Dann müßte sie sich eine Geschichte darüber ausdenken, warum sie nicht Otterland spielen gegangen war. Das war das Problem mit dem Lügen – wenn jemand anfing nachzuprüfen, wurde alles sehr kompliziert.
    Das Umkleidezimmer war wie jedes Zimmer im Haus voller Pflanzen.
    Sie hatte noch nie so viele an einem Ort gesehen, nicht einmal in Frau Gullisons Haus, und Frau Gullison gab ständig mit ihren Pflanzen an, wie viel Arbeit sie wären, obwohl zweimal die Woche ein kleiner dunkelhäutiger Mann kam und alles Schneiden und Gießen und Graben machte. Herrn Sellars’ Pflanzen dagegen kriegten zwar jede Menge Wasser, wurden aber nie geschnitten. Sie wuchsen einfach. Manchmal fragte sie sich, ob die Pflanzen eines Tages das ganze Haus zuwuchern würden und der komische alte Mann dann ausziehen mußte.
    Ein Bademantel genau in ihrer Größe hing an dem Haken hinter der Tür. Sie zog schleunig Shorts und Hemd, Strümpfe und Schuhe aus und steckte sie alle in den Plastikbeutel, genau wie Herr Sellars es ihr gezeigt hatte. Als sie sich bückte, um den letzten Schuh hineinzustecken, kitzelte einer der Farne sie am Rücken. Sie quiekte.
    »Alles in Ordnung, kleine Christabel?« rief Herr Sellars.
    »Ja. Eine von deinen Pflanzen hat mich gekitzelt.«
    »So etwas würde sie nie tun.« Er tat so, als wäre er böse, aber sie wußte, daß er Spaß machte. »Meine Pflanzen sind die wohlerzogensten auf dem ganzen Stützpunkt.«
    Sie band den Frotteebademantel zu und schlüpfte in die Duschsandalen.
    Herr Sellars saß in seinem Rollstuhl neben dem Apparat, der das ganze Wasser in die Luft blies. Er blickte auf, als sie hereinkam, und sein schiefes Gesicht machte eine Lachbewegung. »Ach, schön, daß du da bist.«
    Als sie das Gesicht zum erstenmal gesehen hatte, hatte sie sich gefürchtet. Die Haut war nicht bloß runzlig wie in Omas Gesicht, sondern sah beinah geschmolzen aus, wie das Wachs an einer weit heruntergebrannten Kerze. Er hatte auch keine Haare, und seine Ohren waren nur Knubbel, die ihm seitlich vom Kopf abstanden. Aber er hatte ihr bei diesem ersten Mal erklärt, daß es ganz in Ordnung sei, Angst zu haben – er wüßte, wie er aussah. Es sei von einer schlimmen Verbrennung, hatte er erzählt, einem Unfall mit Flugzeugtreibstoff. Es sei sogar erlaubt, ihn anzugucken, hatte er ihr gesagt. Und sie hatte ihn angeguckt, und Wochen nach ihrer ersten Begegnung hatte sie immer noch von seinem Gesicht geträumt, das wie von einer geschmolzenen Puppe war. Aber er war sehr nett gewesen, und Christabel wußte, daß er einsam war. Wie traurig, ein alter Mann zu sein und ein Gesicht zu haben, auf das die Leute mit Fingern zeigten und über das sie Witze rissen, und in einem Haus sein zu müssen, wo die Luft immer kühl und feucht war, damit einem die Haut nicht weh tat! Er hatte eine Freundin verdient. Es gefiel ihr nicht, deswegen zu lügen, aber was blieb ihr anderes übrig? Ihre Eltern hatten ihr verboten, ihn weiter zu besuchen, aber ohne richtigen Grund. Christabel war schon fast erwachsen. Sie wollte Gründe gesagt bekommen.
    »Also, kleine Christabel, erzähl mir etwas von der Welt.« Herr Sellars setzte sich im strömenden Dampf des Luftbefeuchters zurück. Christabel erzählte ihm von ihrer Schule, von Ophelia Weiner, die sich für was Besonderes hielt, weil sie ein Nanoo-Kleid hatte, bei dem sie die Form und die Farbe verändern konnte, wenn sie dran zog, und vom Otterlandspielen mit Portia.
    »… Und weißt du, woran der Otterkönig immer merken kann, ob man einen Fisch dabei hat? Am Geruch?« Sie schaute Herrn Sellars an. Mit geschlossenen Augen wirkte sein knotiges, haarloses Gesicht wie eine Tonmaske. Sie überlegte gerade, ob er wohl eingeschlafen war, als seine Augen wieder aufklappten. Sie hatten eine total faszinierende Farbe, gelb wie die von Dickens, der Katze.
    »Ich fürchte, ich bin mit den Verhältnissen im Otterreich nicht sehr bewandert, meine kleine Freundin. Ein sträfliches Versäumnis, wie ich erkennen muß.«
    »Gab’s das noch nicht, als du ein Junge warst?«
    Er lachte, leise gurrend wie eine Taube. »Eigentlich nicht. Nein, nichts, was sich mit Otterland vergleichen ließe.«
    Sie sah sein riefiges Gesicht an und verspürte eine ähnliche Liebe wie zu ihrer

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