Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
verdrehte Art. Verstehst du?«
Fredericks nickte langsam. »Ich denke schon.«
»Also – also wie soll ich zu dir sagen?«
»Fredericks. Das war ’ne harte Nuß, was?« Ein Lächeln huschte über das breite Gesicht.
»Schon, aber … du bist ein Mädchen. Trotzdem bist du für mich ein Junge.«
»Ist doch okay. Für mich bin ich auch ein Junge. Wenn ich mit dir rumziehe.«
Orlando wußte einen Moment lang nicht weiter. Dieses unerforschte Gelände kam ihm heimtückisch vor. »Du meinst, du bist transsexuell?«
»Nein.« Sein Freund zuckte mit den Achseln. »Ich bin bloß … na ja, manchmal wird’s mir halt langweilig, ein Mädchen zu sein. Deshalb wollte ich, als ich mit dem Netz anfing, manchmal ein Junge sein. Mehr ist da nicht dran. Keine große Sache.« Fredericks klang nicht ganz so sicher, wie er oder sie gern geklungen hätte. »Aber wenn du dich mit jemand anfreundest, wird’s ziemlich verquer.«
»Das hab ich gemerkt.« Er sagte es mit seiner höhnischsten Johnny-Icepick-Grimasse. »Also stehst du jetzt auf Jungen, oder bist du schwul oder was?«
Fredericks stieß verächtlich die Luft aus. »Ich hab nichts gegen Jungen. Ich hab ’ne Menge Jungen als Freunde. Ich hab auch ’ne Menge Mädchen als Freundinnen. Scheiße, Gardiner, du bist genauso schlimm wie meine Eltern. Die denken, ich muß diese ganzen Entscheidungen fürs Leben treffen, bloß weil mir’n Busen wächst.«
Eine Sekunde lang wackelte für Orlando die Welt. Die Vorstellung von Fredericks mit Busen war mehr, als er im Augenblick verkraften konnte.
»Also… also das wär’s? Du bleibst einfach weiter ein Junge? Wenn du online bist, meine ich.«
Fredericks nickte wieder. »Ich denke schon. Es war nicht komplett gelogen, Orlando. Wenn ich mit dir zusammen bin … ach, dann fühle ich mich wie ein Junge.«
Orlando schnaubte. »Woher willst du das wissen?«
Fredericks blickte verletzt, dann wütend. »Weil ich bescheuert werde und mich aufführe, als wenn sich die Welt nur um mich dreht. Daher.«
Gegen seinen Willen mußte Orlando lachen. »Also, was sollen wir machen? Einfach Jungen bleiben, wenn wir zusammen sind?«
»Ich denke, ja.« Fredericks zuckte mit den Achseln. »Wenn du damit klarkommst.«
Orlando fühlte, wie sein Ärger ein wenig abklang. Es gab allerdings wichtige Sachen, die er Fredericks noch nicht gesagt hatte, deshalb konnte er sich nicht allzu selbstgerecht gebärden. Dennoch war es schwer, sich mit der Vorstellung anzufreunden.
»Na schön«, sagte er schließlich. »Ich denke …« Er wußte nicht, wie er den Satz beenden sollte, ohne daß er sich anhörte wie in einem schlechten Netzthriller. Er entschied sich für: »Ich denke, so weit ist es okay.« Das war eine unglaublich dämliche Bemerkung, und er war sich keineswegs sicher, daß es wirklich okay war, aber er wollte es fürs erste dabei belassen. »Aber rausgekommen ist das Ganze deshalb, weil ich dich gesucht hab. Wo warst du? Warum hast du meine Mitteilungen nicht beantwortet?«
Fredericks beäugte ihn, vielleicht um sich darüber klarzuwerden, ob sie zu einer gewissen Stabilität zurückgefunden hatten. »Ich … ich hatte Angst, Gardiner. Und wenn du jetzt denkst, das war deshalb, weil ich in Wirklichkeit ein Mädchen bin, oder sonst so’n Fen-fen, dann spring ich dir an den Hals.«
»Angst wegen dem, was in TreeHouse passiert ist?«
»Wegen allem. Du bist total daneben, seit du diese Stadt gesehen hast, und es wird mit jedem Mal scänniger. Was ist als nächstes dran, versuchen wir die Regierung zu stürzen oder was? Sollen wir für die hehre Sache des Orlando-Gardinerismus in der Todeszelle landen? Ich will mir einfach nicht noch mehr Ärger an den Hals lachen.«
»Ärger? Was für’n Ärger? Ein Haufen alter Akisushi hat uns aus TreeHouse rausgeschmissen, sonst nichts.«
Fredericks schüttelte den Kopf. »Es ist mehr als das, und das weißt du auch. Was läuft da, Gardiner? Was ist das mit dieser Stadt, daß du auf einmal so … fanatisch bist?«
Orlando wog das Für und Wider ab. War er Fredericks etwas schuldig, eine ehrliche Antwort? Aber sein Freund hatte ihm sein Geheimnis auch nicht freiwillig preisgegeben – Orlando hatte die Wahrheit selber ausbuddeln müssen.
»Ich kann’s nicht erklären. Nicht jetzt. Aber es ist wichtig – das weiß ich einfach. Und ich glaube, ich hab einen Weg gefunden, über den wir wieder in TreeHouse reinkommen können.«
»Was?« schrie Fredericks. Die anderen Gäste im Last Chance Saloon, an
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