Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
machen.«
Renie überlegte, dann nickte sie. »Aber nicht gleich. Ich muß unbedingt erst diese V-Tanks testen. Können wir es heute abend machen, vor dem Schlafengehen?«
!Xabbu lächelte. »Wenn hier jemand die Älteste ist, auf deren Weisheit wir uns verlassen, Renie, dann du. Heute abend wäre gut, denke ich.«
Die ersten Ergebnisse schienen noch mehr zu versprechen, als Renie sich erhofft hatte. Die V-Tanks waren zwar im Vergleich zu neueren Interface-Teilen umständlich zu benutzen, aber schienen ihr verschaffen zu können, was sie brauchte – langfristigen Netzzugang und zudem viel feinere sensorische Eingaben und Ausgaben als alles, was sie jemals in der TH benutzt hatte. Nur bei einem richtigen Implantat wäre die Verzögerung geringer gewesen, aber dafür hatten die V-Tanks Vorzüge, mit denen selbst ein Implantat nicht mithalten konnte: Weil sie anscheinend speziell für langfristige Benutzung entwickelt worden waren, waren die Tanks mit Vorrichtungen zur Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr und zur Abfuhr von Ausscheidungen versehen, so daß der Benutzer mit nur gelegentlicher Unterstützung von außen fast völlig unabhängig sein konnte.
»Aber was is das für’n Zeug?« Ihr Vater verzog beim Blick in die offene Wanne angewidert den Mund. »Riecht nicht grad appetitlich.«
»Es ist Gel.« Sie berührte es mit einem Finger. »Das heißt, es wird welches werden.«
Long Joseph streckte seinerseits vorsichtig die Hand aus und pochte mit seinen schwieligen Fingerkuppen auf das transparente Material. »Das is kein Gelee, oder wenn, dann is es ganz eingetrocknet und eklig. Das is ’ne Art Plastik.«
Renie schüttelte den Kopf. »Man muß es ordentlich anschließen. Du wirst schon sehen. Wenn du einen sehr schwachen Strom hindurchleitest, wird es in dem Teil des Gels, wo du es haben willst, härter oder weicher, kälter oder wärmer. Dann gibt es die Mikropumpen«, sie deutete auf die nadelfeinen Löcher an der Innenwand des Tanks, »zur Druckregelung. Und die Prozessoren, die Computergehirne des Dings, reagieren auf jeden Druck, der auf das Gel ausgeübt wird – das ist der Output. Deshalb eignet es sich so gut als Interface – es kann in einer Simulation nahezu alles imitieren, Wind auf der Haut, Steine unter den Füßen, Feuchtigkeit, was du willst.«
Er sah sie mit einer Mischung aus Argwohn und Stolz an. »Das ganze Zeug hast du in der Schule gelernt, wo du drauf warst?«
»Zum Teil. Ich hab viel über diesen plasmodalen Prozeß gelesen, weil er eine Zeitlang als der nächste große Sprung nach vorn gefeiert wurde. Für andere industrielle Zwecke wird er, glaub ich, immer noch benutzt, aber die meisten der extrem leistungsstarken Computerinterfaces sind heute direkte neuronale Verbindungen.«
Long Joseph stand auf und betrachtete den gut drei Meter langen Tank. »Und du sagst, da kommt Elektrizität rein? Einfach so in dieses Gelee?«
»Dadurch funktioniert es.«
Er schüttelte den Kopf. »Nee, Mädel, du kannst sagen, was du willst. Nur ein Spinner steigt in ’ne Badewanne, die unter Strom steht. Ich würd da nie reingehn. Nie!«
Renies Lächeln war leicht säuerlich. »So ist es, Papa. Das würdest du nie.«
> Es war ein rundherum erfolgreicher Nachmittag gewesen, fand Renie. Martine hatte ihre (zweifellos illegale) Informationsquelle, von der sie überhaupt von diesem Ort erfahren hatte, weiter angezapft, und mit ihrer Hilfe hatten sie sich erste Klarheit darüber verschafft, wie die V-Tanks bereit gemacht werden konnten. Es würde nicht leicht werden - Renie rechnete mit mehreren Tagen harter Arbeit –, aber letztendlich müßten sie es eigentlich schaffen, die Dinger funktionsfähig zu kriegen.
Das Militär hatte noch mehr für sie getan, als nur viele der Geräte an Ort und Stelle zu lassen. Die automatisierten Systeme, welche die unterirdische Anlage vor Eindringlingen geschützt hatten – bis jetzt jedenfalls –, hatten auch die Luft trocken und die Apparate weitgehend betriebsbereit gehalten. Mehrere der Tanks wiesen zwar dennoch Spuren der Vernachlässigung auf, aber Renie hatte keinen Zweifel, daß sie mit dem Austausch einiger Einzelteile wenigstens einen, vielleicht auch mehrere anschließen konnten. Die Computer selbst, die die Rechenleistung bringen mußten, waren hoffnungslos veraltet, aber sie waren die größten und besten ihrer Zeit. Nach Renies Einschätzung konnten sie mit einer ähnlichen Flickschusterei genug Zentraleinheiten zum Laufen bringen, um
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