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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ist ein Gefängnis, aber kein ganz unwirtliches.«
    Sie wußte nicht, was das letzte Wort bedeutete, deshalb blieb sie einfach stehen.
    »Komm mit«, sagte er. »Es ist hinterm Haus.«
    Christabel mußte einige Äste zur Seite räumen, die der Wind abgebrochen hatte, bevor sie Herrn Sellars die Rampe hinunterhelfen konnte. Das Licht von der Straßenlaterne reichte eben aus, um etwas zu erkennen, aber es war dennoch sehr dunkel. Die Pflanzen wuchsen überall, sogar mitten auf dem Rasen und zwischen den Ritzen im Pflaster – Christabel fand, es sah aus, wie wenn schon lange niemand mehr an dem Garten etwas gemacht hatte. Der Wind wehte immer noch stark, und das nasse Gras klatschte ihr an die Knöchel, als sie ihn über den Rasen schob. Am hinteren Rand hielten sie an. Ein Seil hing dort über dem Gras; beide Enden baumelten von einem komischen Metallding am Ast der großen Eiche.
    »Hier ist es«, sagte er und deutete auf den Boden. »Heb einfach das Gras hoch und klapp es zurück. So etwa. Jetzt nimm du die andere Seite.«
    Das Gras am Rand der Rasenfläche ließ sich zurückrollen, genau wie ihre Mutter den Eßzimmerteppich zurückrollte, bevor sie mit der Bohnermaschine darüberging. In der Mitte des freien Stücks Erde kam eine alte Metallplatte mit zwei Löchern darin zum Vorschein. Herr Sellars hob eine Metallstange auf, die seitlich am Weg lag, und steckte sie in eines der Löcher, dann benutzte er den Handgriff seines Rollstuhls als Auflage und hebelte die Platte hoch, bis sie mit einem dumpfen Schlag auf den Rasen kippte.
    »So«, sagte er. »Erst ich, dann der Stuhl. Du wirst jetzt das Prinzip des Flaschenzugs lernen, Christabel. Ich habe ihn schon benutzt, um eine Menge Sachen hinunterzulassen, aber wenn du mir hilfst, wird es viel leichter sein.«
    Er zog seinen verkümmerten Körper an dem Seil aus dem Rollstuhl hoch, verknotete ein Ende unter den Armen zu einer Schlaufe und manövrierte sich mit Christabels Hilfe über das Loch. Sie paßte auf, daß er nicht an die Seite stieß, während er das Seil langsam durch seine Finger gleiten ließ. Er sank nur ein kurzes Stück nach unten, bevor das Seil stockte.
    »Siehst du? Es ist nicht tief.«
    Sie beugte sich über den Rand. Eine komische kleine viereckige Lampe stand auf dem Boden des Betontunnels und übergoß alles mit rotem Licht. Herr Sellars saß mit umgebogenen Beinen daneben auf dem Boden. Wenn sie einen Schirm gehabt hätte, hätte sie ihn damit pieksen können. Er lockerte das Seil um seiner Brust und zog es ab, ohne den Knoten zu lösen.
    »Hoffen wir, daß ich der einzige bin, der davon weiß«, sagte er mit seinem wie geschmolzen aussehenden Lächeln. »Diese Nottunnel sind seit fünfzig Jahren nicht mehr benutzt worden. Damals waren noch nicht einmal deine Mutter und dein Vater auf der Welt. Und jetzt den Rollstuhl.« Er warf die Schlinge zu Christabel hinauf. »Ich sage dir, wie du ihn festmachen mußt.«
    Als sie das Seil angebracht hatte, zog Herr Sellars kräftig. Das kleine Metallding im Baum quietschte, aber zunächst rührte sich der Stuhl nicht. Christabel schob, aber dadurch bewegte er sich bloß zur Seite. Herr Sellars zog noch einmal, und diesmal hob sich der Stuhl vom Boden ab, so daß sein ganzes Gewicht am Seil hing. Der Ast krümmte sich, aber der Rollstuhl blieb ein kleines Stück über dem Boden. Christabel bugsierte ihn über das Loch, dann ließ Herr Sellars das Seil vorsichtig durch seine Finger gleiten, und der Stuhl kam mit einem Bums auf dem Grund des Tunnels auf. Herr Sellars zog sich hoch und setzte sich hinein und befestigte dann beide Enden des Seils an den Handgriffen.
    »Tritt zurück, Christabel«, sagte er. Daraufhin wackelte er mit den Fingern über der Lehne, und der Rollstuhl setzte sich in Bewegung. Das Seil spannte sich straff, und der Ast neigte sich weit zu Boden. Herrn Sellars’ Finger wackelten ein wenig schneller. Das Profil an den Reifen schien den Tunnelboden förmlich zu packen, und zum erstenmal gab der Rollstuhl ein leises Geräusch von sich, wie das Schnurren einer Katze. Etwas machte ratsch! Der Ast flog nach oben, und das Seil fiel in den Tunnel hinunter.
    »Ah, gut. Die Rolle ist mitgekommen. Das war das einzige, was mir noch Sorgen machte.« Herr Sellars schaute zu ihr hoch. In dem rötlichen Licht sah er aus wie eine Figur aus dem Halloween-Spukhaus im PX. »Von jetzt an komme ich allein zurecht«, sagte er lächelnd. Er legte einen Arm angewinkelt vor sich und verneigte sich vor ihr, als

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